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30 Jahre LISTE

Ein Gespräch mit Nikola Dietrich.

  • Jun 17 2025
  • Theresa Zwerschke
    works as an artist, writer and organiser. She is the co-initiator of Catwings and part of the Arts of the Working Class team.

Die 30. Ausgabe der Liste Art Fair Basel wurde gestern in der Halle 1.1 der Messe Basel eröffnet. Bis Sonntag, 22. Juni, präsentieren 99 junge Galerien aus 31 Ländern ein vielfältiges Spektrum internationaler Gegenwartskunst - mit neuen Werken zahlreicher Künstler*innen in Einzel- und Gruppenausstellungen in neu gestalteter Architektur. Zum 30-jährige Bestehen übernahm Nikola Dietrich die Direktion.

Was bedeutet es für dich, deine neue Rolle zu einem so besonderen Zeitpunkt zu übernehmen, und wie siehst du deinen kuratorischen Ansatz im Dialog mit der Geschichte der Liste Kunstmesse?

Es ist eine große Verantwortung, gerade jetzt die Leitung der Liste zu übernehmen. Seit fast drei Jahrzehnten ist die Messe ein Ort für die nächste Generation von Künstler*innen und Galerien. Als komplementäres Format zur Art Basel bietet sie eine progressive Perspektive, mit einem klaren Fokus auf kuratorische Qualität. Sie schafft Strukturen, die aufstrebenden Galerien Sichtbarkeit geben und den Zugang zu einem internationalen Netzwerk ermöglichen. Diese Ausrichtung möchte ich weiterführen und zugleich im Dialog mit aktuellen künstlerischen Entwicklungen schärfen. Die Gegenwartskunst bewegt sich in einem Umfeld, das sich stetig verändert. Künstler*innen reagieren darauf mit neuen Ansätzen, Fragestellungen und Formen. Die Liste ist ein Ort, an dem diese Bewegungen sichtbar werden und so auch das Unausgegorene und Widerspenstige Raum findet, nicht als fertiges Bild der Zeit, sondern als offener Prozess, den wir mitgestalten.

Fig.1


Deine bisherige kuratorische Arbeit umfasst Institutionen wie das Kunstmuseum Basel, den Kölnischen Kunstverein und der Portikus, wo du jeweils eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Kontexten und Publikumsgruppen hattest. Wie beeinflussen deine Erfahrungen im institutionellen Kontext deinen Ansatz, eine Kunstmesse wie die Liste zu leiten?

Als Kuratorin an diesen Institutionen war ich stets eng in Produktionsprozesse eingebunden, im direkten Austausch mit Künstler*innen. Diese Nähe zur künstlerischen Arbeit, aber auch zu den jeweiligen Kontexten und Publikumserwartungen, prägt auch meinen Blick auf die Liste. Auch wenn eine Messe natürlich andere Strukturen und Dynamiken hat als ein Ausstellungshaus, geht es im Kern um ähnliche Fragen: Welche Stimmen wollen wir sichtbar machen? Welche Themen sind relevant? Und wie schaffen wir ein Umfeld, das künstlerische Qualität fördert und Diskurs ermöglicht jenseits einer reinen Marktlogik?

Gerade bei einer Messe wie der Liste helfen mir diese Erfahrungen, mit den Galerien auf Augenhöhe zu arbeiten, genau hinzusehen, welche Perspektiven vielleicht noch unterrepräsentiert sind und wie man eine Struktur schafft, in der solche Stimmen sichtbar werden können. Die Liste ist nicht nur reine Verkaufsplattform, sondern ein Ort, an dem man erkennt, wohin sich die Gegenwartskunst bewegt und wer sie vorantreibt.

Fig. 2


In diesem Jahr nehmen von 100 Galerien 48 neue Galerien zum ersten Mal teil. Was hat die Auswahl der Positionen beeinflusst, und was tragen diese neuen Stimmen zur kuratorischen Ausrichtung der Messe bei? 

Die Entscheidungen im Auswahlprozess treffe ich nicht alleine. Dafür gibt es ein Komitee aus internationalen Kunstexpert*innen mit unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven. Gemeinsam sichten wir die Bewerbungen mit besonderem Augenmerk auf die vorgeschlagenen Künstler*innen und darauf, wie ihre Arbeiten im Kontext der geplanten Präsentation auf der Liste zum Tragen kommen. Ziel ist es, Positionen zu zeigen, die neue Impulse setzen und relevante Tendenzen im aktuellen Kunstgeschehen widerspiegeln. Die Vielzahl an Debüt-Galerien in diesem Jahr spiegelt nicht nur wider, wie dynamisch und vielstimmig die jüngere Kunstszene an vielen Orten derzeit ist; wir haben auch gezielt Galerien ausgewählt, die Künstler*innen präsentieren, die aus verschiedenen Gründen bislang noch keine entsprechende Sichtbarkeit auf dem internationalen Parkett erhalten haben.

In einem Interview mit Artnet lobte dich der Gründungsdirektor der Liste, Peter Bläuer, als eine Person, die „keine Angst hat, Dinge in die Hand zu nehmen, auch wenn es unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen sind“. Im gleichen Beitrag betonte der Liste-Präsident Urs Gloor die Aufgabe der Messe, „neue Trends in der Kunst frühzeitig zu erkennen, um attraktiv zu bleiben.“ Wo siehst du die Überschneidungen und Differenzen zwischen Trends und Notwendigkeiten in der zeitgenössischen Kunst? 

Ich halte nicht viel davon, Trends einfach hinterherzulaufen. Oft ist es wichtiger, sich bewusst davon abzusetzen. Was für mich zählt, sind Nachhaltigkeit, künstlerische Qualität und die Fähigkeit, Differenz zuzulassen. Es geht darum, Strukturen zu schaffen, die langfristig tragen. Relevante Kunst entsteht selten aus dem Wunsch heraus, Trends zu bedienen, sondern aus dem Bedürfnis, auf die Welt zu reagieren, sie zu befragen oder ihr etwas entgegenzusetzen. Die Liste verstehe ich nicht nur als eine Messe, sondern als Ort, an dem ein ganzes Netzwerk entsteht - aus Menschen, die bereit sind, künstlerische Praktiken und Ideen langfristig zu unterstützen und sichtbar zu machen, gerade wenn sie nicht so glatt oder leicht konsumierbar sind. Gerade in Zeiten zunehmender Vereinheitlichung, Kommerzialisierung und eines Rückzugs ins Konventionelle ist es wichtig, Räume für neue, unbequeme, radikalere Ansätze zu schaffen.

Fig. 3

 

Welches sind für dich die künstlerischen Praxen, die die Gegenwart besonders prägen? 

Künstlerische Arbeiten stehen für sich und haben jeweils verschiedene Hintergründe, sind mit spezifischen Geographien verbunden und nutzen unterschiedliche Mitteln. Was sich aber dennoch wahrnehmen lässt, ist die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Umbrüchen auf eine sehr persönliche, poetische und politische Weise. Künstler*innen reflektieren soziale Prozesse, kulturelle Überlagerungen, Fragen von Identität, Körperlichkeit, Erinnerung oder Raum. Das geschieht in unterschiedlichster Form: Von figurativer Malerei bis hin zu installativen, skulpturalen oder textbasierten Arbeiten. Viele der Arbeiten folgen einer inhaltlichen Dringlichkeit und öffnen neue Perspektiven, sei es durch queere Lesarten, durch dezidiert politische Bildstrategien, durch das Wiederaneignen verloren gehlaubter kultureller Praktiken oder durch das Sichtbarmachen marginalisierter Erfahrungen.

Ein Beispiel dafür ist Jonas Staals Installation How to Make Yachts Extinct? bei Laveronica, Modica, eine politische Bildkampagne gegen Symbole globaler Ungleichheit. Oder die Arbeiten von Nahum B. Zenil bei Parallel Oaxaca, die queere Identität und Körperlichkeit im mexikanischen Kontext verhandeln. Auch die Präsentation von Cylinder aus Seoul, die sich in einer poetischen Gruppenausstellung mit den Nazca-Linien und kulturellem Gedächtnis auseinandersetzt. Spannend finde ich auch die neuen Positionen, z.B. Sara Ravellis skulpturale Installation bei Bar, Turin, in der das Zusammenspiel zwischen Fürsorge und eingeschränkter Funktionalität thematisiert wird, oder die Malerei und Skulptur von Trinidad Metz Brea und Valentina Quintero bei Valerie’s Factory aus Buenos Aires, die Natur als queere, fluide Dimension verstehen. Mich interessiert besonders, wie sich diese Vielfalt an Stimmen und Perspektiven nicht nur nebeneinander, sondern in Beziehung zueinander zeigt – und da zeigt sich auch meine kuratorische Haltung in der Platzierung der einzelnen Positionen innerhalb der neuen Architektur. 

Fig. 4

Was erwartest du in den nächsten 5 bis 10 Jahren? Was muss bleiben und was könnte sich entwickeln?

Gerade in Zeiten globaler Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche braucht es Orte wie die Liste: Räume, in denen Kunst etwas schafft, das niemand erwartet. Kunst ist mehr als Verkaufszahlen oder Auktionsrekorde; ihren Wert sehe ich mehr in einer geteilten Erfahrung. Die Liste trägt diese Verantwortung für ein sensibles Ökosystem aus Künstler*nnen, Galerien, Kurator*innen und Publikum, für ein Gleichgewicht zwischen Markt und Diskurs und für Basel als lebendigen, internationalen Kunststandort. Ihre Stärke liegt in der frühzeitigen Sichtbarmachung künstlerischer Tendenzen, in einem fokussierten Programm, komplementär zur Art Basel und den zahlreichen parallelen Formaten, aber eigenständig in Haltung und Auswahl. Diese Qualität gilt es zu bewahren und zugleich weiterzudenken - offen zu bleiben für das, was Kunst heute geben kann.

 

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  • Images:

    Cover: Jonas Staal, Redistribute Extinction, study for a comparing, 2023- ongoing. Courtesy the artist and Laveronica gallery 
    Fig.1: Aurora Király, Viewfinder#28, 2024-2025. 
    Fig.2: Leonardo Devito, Rapimento, 2025. Photo by Romain Darnaud.
    Fig.3: Aki Hassan, fullstop.reminder, 2025. Photo Courtesy of the Artist
    Fig.4: Aurora Király, HÉROÏNES – SPINNING THE FIBERS INTO FINE YARN #1, #2, #3, 2024

    All prices are upon request to the gallery.

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