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ARBEITER*INNENBRIEFE: GORILLAS, LIEFERANDO, WOLT.

Die Pandemie kreiert viele Verlierer – die großen Lieferdienste wie Gorillas, Lieferando oder Wolt sind definitiv keine davon.

  • May 01 2021
  • Kaya Hasslinger
    möchte Kommunikationswissenschaft studieren, hat im Jahr 2020 selber beim Lieferdienst gearbeitet, parallel zu ihrem Praktikum in unserer Redaktion.

Aufgrund von Schließungen und Restriktionen sind Restaurants in der Pandemie noch mehr von Lieferdiensten abhängig als zuvor. Der Berliner Dienst Lieferando bezieht 30% des bezahlten Menü-Preises. Dieses Geld bräuchten die Gastronomen um zu überleben. Nachdem das nun ausbleibt, bleibt vielen nur übrig zu schließen. Auch die Online-Supermärkte, wie Gorillas, boomen. Menschen wollen weniger vor die Tür gehen und die Versuchung innerhalb von zehn Minuten Lebensmittel nach Hause geliefert zu bekommen ist groß. Damit verdienen sich die neuen Dienstleister ein goldenes Näschen. Dass der Profit natürlich nicht in der Tasche der Kurierfahrer landet, und wie die Arbeitsverhältnisse genau aussehen erzählen mir drei Angestellte:



Wann und aus welchem Grund hast du angefangen dort zu arbeiten? 

Almeira bei Lieferando: Ich habe im Oktober angefangen bei Lieferando zu arbeiten und wollte etwas Geld verdienen und im Lockdown eine Beschäftigung haben. Corona-bedingt gab es kaum Optionen. Ich dachte es wäre auch nice, sich zu bewegen, da ich sportlich bin und Fahrrad fahren eigentlich mein Ding ist. Nach drei Monaten habe ich wieder aufgehört. Neben meinem Praktikum war das einfach zu viel. Von Montag bis Freitag habe ich beim Radio gearbeitet und am Wochenende bei Lieferando. 

Rafael bei Gorillas: Ich hab im November angefangen bei Gorillas zu arbeiten, damals noch als Lieferwagenahrer. Meine Aufgaben bestanden darin, verschiedene Waren zu redistributieren. Das heißt, wenn irgendwo zu wenig oder zu viel war, war es meine Aufgabe, die Waren zwischen den Warehouses umzuschiffen. Seit Januar arbeite ich als sogenannter Rider. Der Hauptgrund für den Wechsel war, dass wir als Firma zu groß wurden und meine Position von einem Transportunternehmen übernommen wurde. Man bekommt so Trinkgeld, welches man behalten kann. Außerdem habe ich Freunde, die auch als Rider gearbeitet haben und ich dachte mir, im Sommer wird es ganz cool. 

Moiz Ahamed bei Wolt: Letztes Jahr habe ich bei Lieferando gearbeitet. Da habe ich aber keine guten Erfahrungen gemacht. Freunde von mir haben mir dann Wolt empfohlen, also bin dahin gewechselt. Ich habe mich Anfang Februar beworben und innerhalb einer Woche konnte ich da schon arbeiten.


Welche Veränderung, bezogen auf deinen Job, hast du im Lockdown wahrgenommen?

Almeira bei Lieferando: Es gab diese kontaktlosen Lieferungen, du hast geklingelt und das Essen vor die Tür gestellt. Das größte Problem waren die Toiletten: diese waren in den Restaurants alle durch Corona nicht zugänglich. Deine Pause musst du dann auch auf der Straße machen. Du hast gefroren und wenn es dann noch regnet und glatt ist, ist das auch echt gefährlich. Aber die Leute, die da Vollzeit arbeiten, brauchen halt einfach dringend Geld. Viele geben das Trinkgeld online, um kontaktlos zu bezahlen. Das bekommst du am Ende des Monats von Lieferando als Amazon Gutschein gestellt. Lieber hätte ich es auf meinem Lohnzettel. 

Moiz Ahamed bei Wolt: Die Bestellungen steigen. Das hängt aber auch stark vom Wetter ab. Scheint die Sonne, wird weniger bestellt. Wenn regent, wollen die Menschen nicht rausgehen und bestellen lieber.


Lässt du dich durch die vorgesehene Lieferzeit unter Druck setzen und nimmst dadurch Gefahren auf dich?

Almeira bei Lieferando: Die App berechnet wie lange du ins Restaurant brauchst und in der Zeit musst du es schaffen. Manchmal ist es so, dass du dann da stehst und die haben noch nicht einmal angefangen zu kochen. Laut der App müsstest du aber direkt weiter zum Kunden. Das macht dir total Druck. Am Anfang habe ich mich sehr gestresst. Wir haben einmal eine Email bekommen, in der stand, dass ein Fahrer in einem Verkehrsunfall gestorben ist. Ab da an war mir klar, dass ich mich nicht beeile und mein Leben aufs Spiel setze, damit dieser riesen Monopol-Lieferservice besonders viel Geld macht. 

Rafael bei Gorillas: Am Wochenende ist immer am meisten los. Dann ist da die magische Zahl von zehn Minuten, die man nicht überschreiten soll. Ich sehe das nicht so eng, man wird aber sehr gepusht. Da lastet schon Druck auf den Schultern. Für die 10,50 Euro breche ich mir nicht das Bein oder das Genick. Ab und zu, wird aber schon eine rote Ampel überfahren, um rechtzeitig anzukommen.

Moiz Ahamed bei Wolt: Nein, ich würde sagen, dass das sogar das Beste an Wolt ist. Sie setzen dich nicht unter Druck, es gibt kein Zeitlimit. Du kannst auch immer entscheiden, ob du die Bestellung annimmst. Wenn zum Beispiel dein Weg dahin lang ist, kannst du sie an jemanden abgeben, der näher ist. 


Bist du zufrieden mit deinem Job? 

Rafael bei Gorillas: Ich rette nicht die Welt, aber als Überbrückungsjob ist es, vor allem aufgrund der Teamatmosphäre schon in Ordnung.


Welche positiven Aspekte gab es?

Almeira bei Lieferando: Am Anfang fand ich es super. Ich bin davor so versumpft wegen Corona. Dann saß ich auf meinem Fahrrad und konnte mich bewegen, durch die Gegend fahren, dabei noch Geld verdienen. Das hat sich aber geändert als es kälter wurde. 


Siehst du dich als Teil des Unternehmens?

Almeira bei Lieferando: Am Anfang fand ich es toll, wie so die Connection zwischen den Fahrern war. Alle waren in orange und sind durch die Gegend gefahren und haben sich gegrüßt. Aber den Teil des Unternehmens von denen die die Kohle machen, kannst du vergessen. Mit denen hast du gar keinen Kontakt. Du musst einfach irgendwie mit dieser App klarkommen und dann gehts los. 

Rafael bei Gorillas: Schon ja, das kommt aber auch daher, dass ich da davor als Lieferwagenfahrer gearbeitet habe und in Meetings saß und auch die Führungsetage kennengelernt habe. 

Moiz Ahamed bei Wolt: Tatsächlich schon. Sie geben einem das Gefühl, in dem sie transparent sind und einem oft schreiben. Bei Fragen ist auch immer ein Ansprechpartner zu erreichen.



Hast du vor dort noch länger zu arbeiten oder sogar aufzusteigen?

Moiz Ahamed bei Wolt: Ich sehe da keine Option aufzusteigen. So ist das Unternehmen ja auch nicht ausgerichtet. Der Job ist für Studenten. Sie arbeiten dort, bis sie nach ihrem Studium einen Job kriegen. Das ist auch mein Plan.


Welche unangenehmen Erfahrungen hast du gemacht?

Almeira bei Lieferando: Mir ist aufgefallen, dass Kunden über die Sprechanlage total unfreundlich waren und sobald sie gesehen haben, dass ich nicht dieser stereotypische Lieferando Fahrer bin, total nett und verdutzt waren.. Viele können kein Deutsch und denen gegenüber sind die Leute häufig herablassend. Es war auch blöd, wenn du in den fünften Stock gelaufen bist mit diesem schweren Rucksack und dann kein Trinkgeld bekommen hast. Auch die Gastronomen waren oft ein bisschen fies zu den Fahrern, weil Lieferando gegenüber den Restaurants und den Fahrern gegenüber ausbeuterisch ist. 


Was sollte sich verändern?

Almeira bei Lieferando: Sie müssten auf jeden Fall E-Bikes anschaffen, die jeder benutzen darf. Außerdem muss es besser koordiniert werden, so dass du nicht endlos lange Strecken fährst und in deinem Kiez bleibst. Ich wohne zum Beispiel Nähe Boxi und da gibt es ja so viele Restaurants. Da sehe ich keinen Grund, warum ich nach Wedding fahren muss. Dann müssen sie noch dringend daran arbeiten, dass immer ein Ansprechpartner zu erreichen ist. 



Das Toilettenproblem muss auf jeden Fall gelöst werden!

Rafael bei Gorillas: Es wurden zu viele Rider eingestellt. Das bedeutet weniger Deliveries für einen. Das heißt dann wiederum weniger Trinkgeld und manchmal Langeweile. Man merkt auf jeden Fall, dass das Unternehmen im Wachstum ist und alles größer und überwachter wird. Es gibt immer mehr Leute, die eingestellt werden, um zu gucken was andere machen. Der Grundton wird strenger. 

Moiz Ahamed bei Wolt: Die Bezahlung sollte besser sein, zumindest im Winter, wo es besonders hart ist. Dazu kommt noch, dass sie Studierenden einer Privatuniversität nicht als Studierenden betrachten. Sie bekommen also normale Arbeitsverträge, wofür sie mehr Steuern zahlen müssen.

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Almeira ist achtzehn Jahre alt und hat Ende 2020 drei Monate für Lieferando gearbeitet, um etwas Geld zu verdienen und aus dem Corona-Sumpf herauszukommen. 

Rafael ist 21 Jahre alt und arbeitet seit Januar als Rider bei Gorillas. Vorher war er dort zwei Monate als Lieferwagenfahrer tätig. Diese Position wurde von einem Transportunternehmen übernommen.

Moiz Ahamed ist 26 Jahre alt und ist aus Mumbai nach Berlin gezogen, um seinen Master in Data Signs zu machen. Nebenbei arbeitet er bei Wolt. 

 

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UPDATES zum Thema (nicht-existierenden) Arbeiter*innenrechte in technofeudalistischen Lieferdienstwelt und zu den aktuellen Proteste:

> t-online.de (Juni, 2021)

> RBB24.de (Juni, 2021)

> RBB24.de (Mai, 2021)



  • IMAGE CREDITS
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    "Solidarität mit Santiago". Gorillas Strike am 10. Juni in Prenzlauerberg. Courtesy of Caspar Shaller

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