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FLEISCH-STEUER

Fleisch zu besteuern würde der Umwelt helfen, den Tieren und den Mensch - was steht ihr im Weg?

  • Jul 09 2021
  • Ingo Niermann
    is author and editor of the Solution book series. His most recent publications are the video series Deutsch Süd-Ost and his book Solution 295-304: Mare Amoris (both 2020).

Wenn es um Verbrauchsteuern auf ungesunde Nahrungsmittel geht, wenden ihre Gegner ein, dass diese das Recht auf Selbstbestimmung unverhältnismäßig
beschränke. Letztlich sei Ernährung eine Frage des richtigen Maßes, und auch Chips oder Cola ließen sich in eine ausgewogene Diät integrieren. Anders ist es mit der Fleischsteuer: Hier stehen nicht nur die Rechte der konsumierenden Menschen, sondern auch die des Schlachtviehs und mittelbar der Menschheit und des gesamten Ökosystems zur Disposition. Doch während bereits vor über achtzig Jahren in Dänemark eine Sodasteuer eingeführt wurde und mittlerweile auch besonders fettige Nahrungsmittel und Junkfood in mehreren Ländern besteuert werden, ist die Diskussion über eine Fleischsteuer erst wenige Jahre alt.
Erstmals wurde die Fleischsteuer – vor allem für rotes Fleisch – 2015 in einem Bericht der University of Glasgow und des Londoner Chatham House (The Royal of International Affairs) ins Gespräch gebracht. Seither haben etliche Forscher und NGOs den Vorschlag aufgegriffen, so auch 2016 das Bundesumweltamt mit der Forderung, die Mehrwertsteuer auf tierische Lebensmittel von 7 auf 19 Prozent zu erhöhen und die erwarteten Mehreinnahmen
von bis zu fünf Milliarden Euro für eine bessere Behandlung von Nutztieren sowie eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu verwenden.
Im Sommer 2019 haben einzelne deutsche Politiker/-innen der SPD, der Grünen und der CDU die Forderung aufgegriffen. Die jeweiligen Parteiführungen erklärten eine Fleischsteuer schnell für indiskutabel, doch erregte die kurz aufflammende Debatte auch international Aufsehen.
Erstmals erwies sich die deutsche Politik als führend in der Auseinandersetzung mit einer verhaltenslenkenden Essenssteuer – ohne auf ihre
komplexen Implikationen vorbereitet gewesen zu sein.
Die Forderung nach einer Fleischsteuer verfolgt mehrere Interessen gleichzeitig: gesündere Ernährung, Tierschutz und eine geringere Belastung der Umwelt. Aber gerade weil die Fleischsteuer drei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen versucht, besteht die Gefahr, dass sie keine der drei optimal trifft.

GESUNDHEIT

Der Verzehr von viel Fleisch, insbesondere von prozessiertem Fleisch (Schinken, Würste, Salami), gilt als ungesund, auch der von rotem Fleisch (Rind, Schwein, Lamm) generell. Die WHO stuft prozessiertes Fleisch als krebserregend und rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend ein. Außerdem wird dieses Fleisch für Herzerkrankungen und Diabetes verantwortlich gemacht. Eine 2018 veröffentlichte Studie der University of Oxford hat die geschätzten Gesundheitskosten durch den Konsum von rotem und prozessiertem Fleisch auf den Verkaufspreis aufgeschlagen und kam je nach Land auf Mehrkosten für rotes Fleisch von 1 Prozent in armen bis zu 21 Prozent in reichen Ländern und für prozessiertes Fleisch von 1 Prozent in armen bis zu 111 Prozent in reichen Ländern. Würden diese Mehrkosten als Steuern erhoben, dann würde, so schätzt die Studie, der Konsum von prozessiertem Fleisch um 1 bis 25 Prozent zurückgehen; der von rotem Fleisch bliebe, da er auch den verringerten Konsum von prozessiertem Fleisch ersetzen würde, weitgehend stabil. Auf die Weise könnten die Gesundheitskosten weltweit um rund vierzig Milliarden Dollar und die Sterblichkeit um 220.000 Menschen verringert werden. Die absurde Logik einer solchen utilitaristischen Steuerkalkulation: In armen Ländern, in denen die Gesundheit der Bürger weniger wertgeschätzt wird, muss man auch weniger Sorge tragen, sie zu verbessern. Zudem ist der Zusammenhang zwischen dem Konsum von rotem Fleisch und einer kürzeren Lebenserwartung in der Forschung immer noch umstritten. Insbesondere hängt er sehr davon ab, was die Menschen stattdessen essen. Wird rotes durch weißes Fleisch ersetzt, sinkt die Versorgung mit Eisen, Zink und B-Vitaminen. Wird, wie es eine generelle Besteuerung tierischer Lebensmittel nahelegt, der Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten generell reduziert, sind die Auswirkungen noch ungewisser. Sich ausgewogen vegetarisch oder gar vegan zu ernähren, erfordert eine besondere Sorgfalt. Vor allem besteht die Gefahr, dass bei einer Verteuerung tierischer Lebensmittel die Menschen deren Konsum nicht insgesamt drosseln, sondern nur den der teureren Varianten: Bio-Freilandeier würden durch Eier aus der Legebatterie ersetzt werden, fettarmes Fleisch durch Chickenwings … Dies gilt insbesondere für die ärmere Bevölkerung. Daher empfiehlt es sich, aus gesundheitlichen Gründen nur eine Besteuerung von prozessiertem Fleisch in Erwägung zu ziehen – und das in Kombination mit dem Verbot besonders schädlicher Formen der Fleischverarbeitung wie etwa
der Beigabe von Raucharomen.

UMWELTSCHUTZ

In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Fleischverbrauch weltweit in etwa vervierfacht. Ein Viertel der landwirtschaftlich genutzten Erdfläche dient der Viehhaltung und dem Futtermittelanbau. Die CO2-Bilanz eines Veganers ist, was die Ernährung betrifft, im Durchschnitt (1,5 Tonnen CO2 ) nicht einmal halb so hoch wie die eines Fleischessers (über drei Tonnen CO2 ). Besonders schädlich für die Umwelt ist die Produktion von Rindfleisch. Da Rinder oft noch frei gehalten werden, langsam wachsen und beim Verdauen Methan produzieren, braucht die Erzeugung von Rindfleisch pro Kilo fast dreißigmal so viel Land, zehnmal so viel Wasser und schlägt mit fünfmal so viel Treibhausgasen zu Buche wie Hühnerfleisch. Hinzu kommt die höhere Belastung der Umwelt durch Düngemittel und Pestizide.

Statt die Gesetzgebung durch eine spezielle und je nach Tierart unterschiedliche Fleischsteuer zu verkomplizieren, würde es ausreichen die Nutztierhaltung mit einer ohnehin dringend gebotenen CO2-Steuer belegt und diese auf andere Treibhausgase wie Methan auszuweiten. Außerdem könnten künstliche Düngemittel und Pestizide besteuert werden, um die ökologische Landwirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und Wettbewerbsnachteile durch eine etwaige Verknappung tierischer Düngemittel (Gülle, Jauche, Knochenmehl, Blutmehl, Hornspäne…) auszugleichen. Die aus solchen Steuern resultierende Verteuerung tierischer Lebensmittel sollte durch höhere Sozialhilfesätze und Steuerfreibeträge voll ausgeglichen werden.

TIERSCHUTZ

Nutztiere sind Sklaven, und jeder Sklave weniger ist besser. Aber Sklaverei moderat zu besteuern, sodass sich fortan nur noch Reiche täglich ihren Sklaven leisten können, die Armen bloß noch manchmal, obgleich die Reichen sich genauso gut auch ordentliche Arbeiter leisten könnten, wirkt, selbst wenn es die Zahl der Sklaven senkt, zynisch. Nicht nur zynisch, sondern kontraproduktiv wird es, wenn die Menschen ihre Sklaven fortan noch schlechter behandeln, um deren erhöhte Kosten auszugleichen.

Für eine um soziale Gerechtigkeit bemühte Partei müssen die Rechte von Nutztieren oberste Priorität haben. Sie muss alles tun – und kann hierdurch ein zeitgemäßes profil finden – , um deren Sklaverei alsbald zu beseitigen sowie bis dahin so weit wie möglich zu minimieren und erträglich zu gestalten. Daraus leiten sich folgende Forderungen ab:
► Die Entwicklung und Produktion von umweltschonendem In-vitro-Fleisch muss mit derselben Vehemenz gefördert werden wie die von alternativen Energien.
► Die Mindeststandards für die Haltung von Tieren müssen drastisch angehoben werden. Daraus resultierende Mehrkosten dürfen sich nur auf sozial verträgliche Weise in den Preisen für tierische Lebensmittel niederschlagen.
► Tierische Lebensmittel müssen rationiert, ihr privater Handel muss ausdrücklich verboten werden.

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