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Glanz und Armut

Aus Briefen von Arbeitnehmer*innen.

  • Mar 27 2025
  • Amelie Jakubek
    is an artist, editor and organizer researching methodologies of collectives. She is working with AWC, Archive Books, the Collective Commune/ الكوميونة (Cairo and Berlin) and the association Membrane e.V..

Letztens war ich in der Ausstellung der deutsch-vietnamesischen Künstlerin Sung Tieu in der Kunstorganisation KW. Sie setzt sich dafür ein, die Verteilung von Geld und den Einfluss von Geld in der Kunst zu verändern – die Briefe, die sie geschrieben hat, sind in Spiegel eingraviert, es ist schwer sie zu lesen, nur wenn man eine Lichtquelle darauf richtet, erscheinen die Buchstaben klar. Es ist Teil ihrer künstlerischen Praxis, den Kontext der Produktion in Frage zu stellen – ohne dass ihre Arbeit an Sinnlichkeit verliert. Wie sie, habe auch ich Kunst studiert und konnte die Produktionsbedingungen nicht ertragen.

Ich wollte das Kunstsystem so verändern, dass es allen offensteht. Doch wo Kunst mit Geld zu tun hat, gibt es Ausschlüsse. Diese Ungleichheiten führten mich zu Arts of the Working Class. Ich verwalte dort das Geld – nicht, weil ich es will, sondern weil es nötig ist. Unser Ziel war es, Geldströme der Kunstwelt umzuverteilen und benachteiligten Menschen zugutekommen zu lassen – eine Art Ablasshandel. Viele in Museen und im Kunstmarkt bedauern, dass Kunst meist nur Reichen dient. Da sie das System nicht ändern können, kaufen sie bei uns Anzeigen und tragen so zu mehr Zugang bei. Bis vor Kurzem gewannen wir neue Partner*innen (pro Ausgabe rund 300 persönliche E-Mails mit Follow-ups), stellten Rechnungen und finanzierten damit Team und Produktion. Gleichzeitig widmeten wir uns Künstler*innen und Texten, die die bestehende Ordnung hinterfragen.

Jetzt ist alles anders. Selbst jene, die uns unterstützen wollen, haben kaum noch Budgets. Seit fast sieben Jahren finanzieren wir die Zeitung ohne feste Mittel von Ausgabe zu Ausgabe. Kulturkürzungen treffen vor allem Zugänglichkeit: Marketing, Barrierefreiheit, Vermittlung. Die hart erkämpften Mittel sind gestrichen – und als Medium, das davon lebte, trifft uns das direkt. Auch das Interesse der High Class Kunstakteur*innen hat nachgelassen. Warum, sagt uns niemand ins Gesicht.

2022 war unser bislang bestes Jahr mit fast 297.000 Euro, doch pandemiebedingt hohe Druckkosten und hohe Steuernachzahlungen schmälerten das Plus. Wir konnten viele Autor*innen bezahlen und zwei neue Teammitglieder gewinnen. Seit 2023 sind die Einnahmen jedoch rückläufig – über 60.000 Euro weniger –, während unser Team groß und Druckkosten durch eine 75-prozentige Auflagensteigerung hoch blieben. Zusätzlich begannen wir, Schulden bei der Künstlersozialkasse abzubezahlen. Wir arbeiteten deshalb vor allem mit Autor*innen, die bereits sozialversicherte Einkünfte hatten, und zahlten Texthonorare nur noch an weniger Privilegierte. Zudem hatten wir den Eindruck, dass unsere Haltung zum Völkermord in Gaza dazu führte, dass sich weniger Organisationen mit uns solidarisierten. Schließlich mussten wir unser Team verkleinern, hatten kaum Kapazitäten mehr für barrierefreie Angebote und verzichteten teilweise auf Honorare. Trotz aller Herausforderungen konnten wir uns gerade noch über Wasser halten – doch unsere Zukunft ist ungewiss, was uns alle in permanenten Stress versetzt.

Wir sind nicht nur ein sozial engagiertes Kunstprojekt, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle für 400 Verkäufer*innen. Angesichts steigender Wohnungslosigkeit in Berlin – derzeit rund 50.000 Menschen – wächst der Bedarf. Von 70.000 gedruckten Zeitungen pro Auflage werden pessimistisch geschätzt 55.000 verkauft. Bei einem Verkaufspreis von 2,50 Euro bedeutet das direkte Einnahmen von über 137.000 Euro pro Ausgabe – hochgerechnet auf fünf Ausgaben im Jahr mehr als 687.000 Euro. Diese Einnahmen ermöglichen es den Verkäufer*innen, sich dort legal mit dem Nötigsten zu versorgen, wo Hilfesysteme nicht ausreichen.

Künstlerische Arbeiten sind Spiegel einer Gesellschaft – dort, wo gemalt, getanzt und musiziert wird, ist sie nicht arm. In Sung Tieus Spiegeln blickt man nur sich selbst in die Augen, solange kein Licht auf sie gerichtet wird. Doch gerade durch das Licht, das auf sie gerichtet wird – durch eine soziale Kunstförderung – bleibt eine Gesellschaft reich, auch wenn die allgemeinen ökonomischen Bedingungen sich verschlechtern. Kunst hat ohnehin nur einen winzigen Teil des Berliner Haushalts ausgemacht, ihn noch überproportional zu kürzen, verändert im Gesamtetat nicht viel, bedeutet aber tiefgreifende Einschnitte für uns alle. Denn Kunst ist nicht nur Ausdruck, sondern auch ein Maßstab für gesellschaftliche Vitalität.

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