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LEILA HEKMAT

Was ist diese ungreifbare Giftigkeit, gegen die das weibliche Heilmittel wirkt? Kapitalismus - natürlich.

  • Profile
  • Jan 24 2023
  • María Inés Plaza Lazo
    is editor-at-large, publisher and founder of Arts of the Working Class.

Es weht ein neuer Wind im Westen Berlins. Flackernde Blätter und Lichter erinnern in der Dunkelheit am Ende des Jahres an Robert Zemeckis The Frighteners, ein fesselnder Grusel-Thriller mit den spektakulärsten Spezialeffekten der 90er Jahre. So überladen, abgedreht und nostalgisch wirken die Krankensisters und Patient*innen der in Los Angeles geborenen, in Berlin lebenden Künstlerin Leila Hekmat. Als Protagonist*innen erscheinen sie auf Bettwäsche, Vorhängen, Schaufensterpuppen und als gruselige Stimmen aus den Lautsprechern in beiden Etagen des Hauses am Waldsee. Einst ein Familiensitz und Teil eines der ersten Gentrifizierungsprogramme in Berlin in den 1920ern, liegt es am Wasser eines künstlichen Sees. Die Charaktere des Hospital Hekmat haben Persönlichkeiten, ihre Körper sind Patchworks meist weißer feministischer Kämpfe, zusammengeschustert aus Vintagehöschen, klerikalen Elementen und Latex aus unterschiedlichen Epochen und Kontexten. Ihre Gesichter sind wortwörtlich zusammengenäht aus Archivbildern und Internetressourcen. Die entstehenden Grimassen konterkarieren die dünnen, sexuell aufgeladenen Körper, die sie tragen.

 

fig. 1

 

Hekmat nennt diese ambivalente Verherrlichung von stereotyper Weiblichkeit Female Remedy, und sie eröffnete in diesem Herbst das Programm der neuen Direktorin des Hauses, Anna Gritz, die nach den 16 Jahren Amtszeit von Katja Blomberg einer klaren, neuen Richtung folgt, die sich bereits programmatisch der Integration der Geschichte des Hauses und der demographischen Transformation der Nachbarschaft widmet. Das Sanatorium, in dem keine Heilung angeboten und Krankheit verspottet und gegendert wird, ist ein unverschämter, dunkler Humor, der den bürgerlich-häuslichen Charakter der Ausstellungsräume, des im Kiez populären Cafés, und die Traurigkeit über den am schlechtesten bezahlten Job der Welt – den der Fürsorge.

Als geisterhaftes Porträt eines Krankenhauses für Frauen* betrachtet das Hospital Hekmat das Kranksein als „Tor zur Selbstfindung”: Tauscht man* den Begriff „krank“ mit „kapitalistisch“, eröffnet sich ein von der Künstlerin „gewebter” Vorhang zur Illusion individueller Freiheit innerhalb eines deregulierten Wirtschafts- und Lebenssystems. Doch die collagierten Pin-Ups sind nur an der Oberfläche marktkonform, der Fetisch ist eigentlich doch emanzipatorisches Instrument und queere Affären stehen hinter der Heteronormativität, die ad absurdum geführt wird. Durch visuelle Zitate aus britischen Zeitschriften der Frauenbewegung der 70er Jahre, orthodoxem Judentum und kunstvoll präsentierten Bettpfannenmodellen sickern ökonomische und soziale Zwänge für “schöne” und “nützliche” Dinge.

 

fig. 2

 

Unbehaglich wirken die Fratzen der Figuren in einer Welt, in der das Frausein als gesellschaftliches Konstrukt weiterhin durchgeboxt wird. Liest man Silvia Federicis Wages against Housework, sieht man eine Verbindung zwischen der Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit als Resultat feministischer Kämpfe im Kapitalismus mit den verzerrten Gesichtern. Die Paternalisierung von Fürsorge als eine “Arbeit der Liebe” enttarnt sich als die “durchdringendste Manipulation, die subtilste und geheimnisvollste Gewalt, die der Kapitalismus je gegen einen Teil der Arbeiterklasse ausgeübt hat” (Federici, 1974), nämlich gegen Frauen*. Die Krankensisters und ihre Patient*innen treiben uns, wenn auch nur ganz kurz, die vermeintlichen Konventionen von Geschlecht, Gender und Sexualität und ihrem Verhältnis zum Kapitalismus aus. Die Charaktere erinnern stark an die “Selfies” aus Cindy Shermans Instagram Account, an das Narrativ über den Scham und Horror in Tracey Emins Erinnerungen an Liebeskummer, oder die psychoanalytischen Pathologien in den Skulpturen von Louise Bourgeois. Diese fast zu deutlichen Referenzen finden in Hekmats Arbeit trotzdem Aktualität. In der ästhetischen Überwältigung ihrer Figuren schafft sie eine weitere Grenzüberschreitung dessen, was heute als Norm immer noch herrscht.

 

fig. 3

 

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„Female Remedy“ von Leila Hekmat läuft bis zum 8. Januar 2023 im Haus am Waldsee, Berlin.



  • IMAGE CREDITS
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    Cover: Installationsansicht Leila Hekmat – Female Remedy, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Frank Sperling. Courtesy die Künstlerin und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
    fig. 1: Leila Hekmat, Female Remedy; Lucy Goose, 2022. Digital-Collage. Courtesy die Künstlerin und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
    fig. 2: Leila Hekmat, Female Remedy; Tina, 2022. Digital-Collage. Courtesy die Künstlerin und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.
    fig. 3: Installationsansicht Leila Hekmat – Female Remedy, Haus am Waldsee, 2022, Foto: Frank Sperling. Courtesy die Künstlerin und Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

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