Arts Of The Working Class Logo

NOTIZEN AUS BASEL: WARUM IST ES SO SCHWER, DIE KUNST ZU LIEBEN?

Drei Ausstellungen zur existenziellen Fragilität. Aus gegebenem Anlass.

 

"Oh, das ist so typisch swiss", sagte die Designerin Vera Sacchetti während sie an ihrer Rum Granita nippte. "Alles wird hier so allgemein gehandhabt, dass die Schweizer keinen klaren Fokus finden und unpolitisch bleiben." Dieser Drink, dachte ich, ungewöhnlich für die Geschmackspalette der Alpen, gab Veras Anmerkung eine Erfrischende Note und ich konnte nichts tun außer mit ihr darüber zu lachen. Wir tranken bei einem wirklich außerordentlichen Garagen-Event der Kulturstiftung Basel H. Geiger, bei dem Nachbarn und Fachleute zusammen kamen. Zu dem trauten sich an diesem Corona-Nachmittag nur wenige, obwohl Olivier Bur, Künstler und Koch, dafür sorgte, einen unwiderstehlichen Duft und Klang zu erzeugen: den einer exotischen Urlaubsfantasie.

Die Messe-Nostalgie hing noch in der Basler Luft. Und dadurch manifestierte sich eine Verletzlichkeit, die vorher gefühlt nicht existierte – auf eine manierierte, technische, teils übertriebene, überraschende Art – aber vor allem aus einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Frage, wozu Kunstproduktion jetzt gesellschaftlich genau dient, wenn alle Rituale der Kunstwelt abgeschaltet werden müssen. Als erste Ausstellung der Kulturstiftung Basel H. Geiger in ihren neuen Räumen weist “One month after being known in that island” auf einen gewissen Eklektizismus hin, für den sich bisher nur die Caribbean Art Initiative einsetzte. Die Davidoff Stiftung sieht wahrscheinlich die Karibik nicht mehr als Asset, aber ihre ehemalige Mitarbeiterin Albertine Kopp führt das Programm als Non-Profit-Organization weiter, aus der lobenswerten Überzeugung heraus, dass dekoloniale Geschichten auch zur Schweiz gehören. 

Wie sie setzt auch die Graduiertenausstellung ‘Life, Love, Justice’ in dem von Chus Martinez geleiteten HGK Institut Kunst - FHNW und ‘Real Feelings’ im Haus der Elektronischen Künste einen emotionsgeladenen Ton in der Ausstellungslandschaft am Rhein. Ich berichte hiermit also von Tagen in einer Stadt, die sich vulnerabel anfühlte, obwohl sie dafür bekannt ist, einen intakten internationalen Austausch zu pflegen, ohne jegliche Reibungsflächen anzufassen. Diese Tage sind nun anders.

 

“One month after being known in that island” könnte der Anfang einer Kolonialgeschichte sein, soll aber das Gegenteil bedeuten.

Blaue Dämone und eine Monsterwelle halten ein Spannungsfeld am Eingang und am Ende des langen Ausstellungsraumes. Die Vorfahren sind anwesend, als Verkörperung der Geschichte treten sie in Erscheinung, wie aus einem Alptraum der Künstler*innen. Zwischen Fenster und Fassade stapelt sich ein Sandwich von Formen, Buchstaben und Haaren. Es ist unklar was zwischen diesen Oberflächen passiert, diese sind aber mit der Stimme Guy Regis Jr.’s verbunden, die den Basler Vertrag von 1795 vorliest, in dem einiges zwischen Frankreich und Spanien verhandelt wird, unter anderem die europäischen Kolonien in der Karibik. Was diese Oberflächen und der zur Litanei gewordene Vertrag in sich bergen ist der latente Schmerz der rücksichtslosen Verteilung eines Territoriums, in dem die Individuen selbst zu Sklaven gemacht wurden. Keine schöne Geschichte also, aber eine von Emanzipation.

Die verwundeten Stimmen der Generationen, die unter dem umstrittenen Begriff Creolité, der einen vorausschauenden und integrativen Ansatz für die Karibik als Ganzes kanalisieren sollte, aber gleichzeitig auch die Menschen der Region in ihren eigenen Ethnie infantilisiert, erscheinen convuls durch süße Gesänge der Toli Toli von Minia Biabiany, festliche und die Modernität travestierende Salsa-Mixes von Tony Cruz Pabón und symbolisch aufgeladene traditionelle Formen der Malerei wie die Allegorien von präkolumbianischen Göttinnen in einer Metapher der Gelassenheit der Tessa Mars, sowie die Zeichnungen von José Morbán oder Christopher Cozier.

 

 

Die ausgewählten Künstler*innen sammeln für die Ausstellung Widerstandsmomente aus einer bestimmten Region der Welt, in der noch schwer zu sagen ist wie Dinge funktionieren können jenseits einer Klassengesellschaft kolonialer Ausprägung, die bis heute noch spürbar ist. Jeder der Künstler*innen bietet hier Einblicke in diese Widersprüche hinein. Die Creolité auf den sich die Kurator*innen beziehen ist nicht nur ein theoretischer Körper, nicht nur der Begriff dessen wörtliche Übersetzung Kreolisch ist und der mit der Deformation vergleichbar ist. In diesem Sinne ist die Verbindung zwischen der Karibik und der Schweiz durch die Aufarbeitung der Creolité nur eine Rechtfertigung für etwas das sich als Thema zur Aufarbeitung etablieren sollte: die Mitverantwortung Basels an einer Dekolonialisierung der Welt als einflussreiche Stadt mitzuwirken. Hier ist dieser Ansatz nicht umfassend; es bietet vielmehr einer Öffnung des Begriffes.

Die Geschichten sind, trotz des großen historischen Spannungsbogens den die Kurator*innen der Ausstellung Yina Jimenez Suriel und Pablo Guardiola ausdehnen, umfassend intim. Und die Künstler*innen sind diejenigen die für diesen tiefgreifenden Zustand in der Ausstellung sorgen. Liebe als Geste und Provokation, als Tanz und Protest, als Sorge und Lullaby. Jenseits des materiellen Kokettierens mit Höhlenmalerei und postmodernen Gesten schafft die Ausstellung die Verbindung zu einer sozialen Form, die treu ist denjenigen gegenüber, denen diese Arbeiten gewidmet sind, und die in Basel abwesend bleiben. Stark ist jedenfalls der Kontrast zwischen diesen filigranen und körnigen Gesten der karibischen Künstler*innen und Ausstellung von Deena Lawson in der Kunsthalle Basel, wo der Blick der afroamerikanische Künstlerin aus Brooklyn auf die Favelas Brasiliens plötzlich exotierend wirkt, wo Armut ästhetisiert, und wo Intimität und Träumereien protzig von Elena Filipovic als kultureller Wert in die Stadt importiert werden.

 

 

“Amor mundi — warum ist es so schwer, die Welt zu lieben?”, fragte Hannah Arendt, und dient als Ausgangspunkt für die Diplomausstellung des Institut Kunst HGK FHNW

War die Schweiz jemals ein empathischer Ort für soziale Gerechtigkeit und Fragen der Vielfalt und der Gleichstellung der Geschlechter? Schwer zu sagen. In Basel gibt es Beispiele einer linksgerichteten Politik, wenn man auf die stark zusammengeschweißte künstlerische Gemeinschaft in der Region schaut. Dabei ist der Umgang mit professionellen und dilettantischen Künstler*innen ein wenig inkongruent, aber das ist auch gut. Exemplarisch ist der Katalysator internationaler und lokaler Netzwerke Salts: Ein Raum, der von Samuel Leuenberger gegründet wurde, und mittlerweile auch einen neuen Raum auf dem Land, Country Salts, eröffnet hat. Aktuell ist eine sich-selbst-thematisierende Satire-Ausstellung zu sehen, kuratiert von Tobias Spichtig. 

Die Institution Kunstbaselland empfängt die Bachelor und Masterstudenten des Institut Kunst und lässt sie unter hochkarätigen Bedingungen eine gigantische und zugleich kompakte Ausstellung formulieren. Die ist ganz ungewöhnlich für dieses Jahr, in dem die meisten Jahresausstellung von Kunsthochschulen abgesagt wurden, und fast alles nur online stattfindet. Die Interessen der Studierenden pendeln zwischen der Findung persönlicher Narrativen, der allgemeinen Frage von Ressourcen der Kunstproduktion, und Diskursen in ihrer Totalität, etwas Hydrofeminismus und Postkolonialismus. 

 

 

Das Muschel-Hörspiel von Pavel Aguilar, die von Gedichten geformten Flächen von Cheyenne Oswald oder die Extraktivismus denunzierende Videoinstallation von Lara Paratte. Vela Alburtinas Beitrag dreht sich um Arbeit, zum Beispiel, intensiviert durch den Lockdown. Sie dokumentiert die Untersuchung durch Ärzten sich selbst bei der Reparatur ihres Smartphone nach einem YouTube-Workshop, lässt T-Shirts mit dem Wort ‘Labor’ bedrucken, und untersucht somit letztendlich die Zeit die sie nicht im Atelier verbringen konnte. Alle weiteren Räume drehen sich um die Topografien der Isolation (Anita Mucollis Rauminstallation, Laura Bolligers Komposition aus Teppichen, und Manuel Queirós Fresko ‘Wall, Wall, Wall’) , Prokrastination, Einsamkeit in der Fremde, architektonische und performative Manifestationen biographischer Transformationen (Dorian-Orlando Webers 'Der blaue Hummer' und Kelly Tissots 'Hurdle and Locket'), der Kunstmarkt, die Kunstwelt, die Krisengebiete der Welt, der Ausstellungsraum an sich.

 

Nikola Dietrich, aktuelle Direktorin des Kölnischen Kunstvereins und ehemalige Kuratorin im Kunstmuseum Basel, betreute gemeinsam mit Martinez den Prozess. Dietrich ist bekannt für ambitionierte Projekte in der Stadt, die meist ungemütlich waren, was Martinez gut findet und an die Studierenden weitergeben möchte. Unbequem soll es sein, und gut vorbereitet. Deshalb ist nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Kuratorinnen eng und durchdacht, sondern auch mit dem technischen Team, den Logistikern und der Verwaltung gut abgesprochen. Diese Dimension in der künstlerischen Ausbildung in Basel sollte exemplarisch für jede andere Hochschule auf der Welt sein.

 

Können Maschinen sentimental werden? Im Haus der Elektronischen Künste, ja.

Um 360° dreht sich die Methodologie der Fragestellung nach Verletzbarkeit in einer puristisch zusammengestellten Ausstellung zu dem nun aus dem 17. Jahrhundert wiederkehrenden Mensch-Maschine-Dilemma. In ‘Real Feelings’ geht es natürlich nicht um eine Idee des Wahren, sondern einer der Technik, und wie sehr die vergleichende Unterscheidung dessen was menschlich und was künstlich ist immer wieder in Frage gestellt wird. Wissen wir tatsächlich, fragen die Kuratorinnen, wie wir uns wirklich fühlen, wenn die emotionale Lücke zwischen Mensch und Maschine enger wird? Wer hat jetzt die Kontrolle über unsere Emotionen? Beginnt die Technologie zu beeinflussen wie wir uns fühlen? Diese und weitere Fragen definieren den kühlen Verlauf der Ausstellung, wo die Werke die Grenze zwischen einem allgemeinen Konsum von Technologie, dystopischen Zukunftsfantasien und stoischer Kontemplation emotionaler Manipulation durch Soziale Medien oszillieren. Antoine Català gibt seinen Objekten ein Gesicht, Cécile B. Evans zeigt Alltagsutensilien in Menschengröße die durch ein Luxusapartment divergieren, Lucy McRae wird eins mit ihrem Solitary Survival Raft, einem Floß für einen Refugium im Weltall.

Eine Arbeit, welche diese Ausstellungen in Form und Inhalt umfassen könnte, ist Streamers von Esther Hunziker. Auf einem weißen Screen bewegt sich eine marmorähnliche Textur, polyform wie das Prisma in Albrecht Dürers Melancholia. Diese Wesen sprechen ein Wirrwarr, das, wie alle andere Monologe auf YouTube, Instagram oder TikTok, sich um einsame Zustände, persönliche Wünsche und Existenzängste dreht. Originale Audiospuren von aktuellen Videostreams, Texte von realen Menschen, die Kameras auf sich selbst richten und ihre Gefühle mitteilen, welche sie online jederzeit mit allen und doch niemandem im Spezifischen teilen. Esther Hunziker entnimmt diese «Gefühle» aus den Nonstop-Strömen der globalen Netzwerken und gibt der Sprache einen neuen Körper. Hunziker nennt ihre Dinge «Specimens», sogenannte wissenschaftliche Exemplare, die sie in den Monitoren konserviert und als «fremde» Objekte präsentiert. Hier zeigt sich, geleert von aller Emanzipation, eine exhibisionistische Suche nach Anerkennung, die die Wahrnehmung gesellschaftlicher Formationen entpolitisiert. Es dient als Warnung gegen diese sich vermehrende Apathie.

 


 

 

//

 

ONE MONTH AFTER BEING KNOWN IN THAT ISLAND: Caribbean Art Today
Kulturstiftung Basel H. Geiger 27.08 – 15.11.2020
Kuratiert von Yina Jiménez Suriel und Pablo Guardiola
Ein Projekt der Caribbean Art Initiative (CAI)

Ramón Miranda Beltrán, Minia Biabiany, Christopher Cozier, Sharelly Emanuelson, Nelson Fory Ferreira, Tessa Mars, Elisa Bergel Melo, José Morbán, Tony Cruz Pabón, Madeline Jiménez Santil, und Guy Régis Jr.
Ausstellungsedition: Ramiro Chaves.
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen öffentlichen Programm begleitet, das Filme, Vorträge und Podcasts sowie wöchentliche öffentliche Führungen umfasst.
---
LIFE, LOVE, JUSTICE
«Next Generation» Diplomausstellung Bachelor und Master Institut Kunst HGK FHNW in Basel, Kunsthaus Baselland. 23. – 30.08.2020
Pável Aguilar, Mitchell Anderson, Ana Andra, Vela Arbutina, Hamza Badran, Laura Bolliger, Stefan Brucherseifer, Jonas Brugger, carolina brunelli, Céline Maria Brunko, Patricia Bucher, Anna Zoe Bühler, Elias Carella, Elise Corpataux, Nadine Cueni, Sofía Durrieu, Marc Jonas Eichenberger, Georg Faulhaber, Sven Friedli, Georg Gatsas, Jérémy Gigandet, Samuel Grand, Gregory Hari, Martina Henzi, Manuel Justo, Katharina Kemmerling, Ronja Kübler, Laura Küng, Josefina Leon Ausejo, Lisa Maria Lurati, Sarah Malomo, Matilde Martins, Anita Mucolli, Anina Müller, Désirée Nüesch, Sina Oberhänsli, Antonie Oberson, Cheyenne Oswald, Lara Paratte, Timo Paris, Mirjam Plattner, Manuel Queiró, Jaana Rau, Nicolás Sarmiento, Alessandro Schiattarella, Simone Steinegger, Kelly Tissot, Dorian-Orlando Weber, Marilola Wili, Andrea Zimmermann
Kuratiert von Nikola Dietrich und Chus Martínez Kuratorische Assistenz Marion Ritzmann
---
REAL FEELINGS
Haus der Elektronischen Künste. 27.08.2020 - 15.11.2020
Antoine Catala, Stine Deja & Marie Munk, Heather Dewey-Hagborg, Justine Emard, Cécile B. Evans, Ed Fornieles, Maria Guta & Adrian Ganea, Esther Hunziker, Seokyung Kim, Clément Lambelet, Lorem, Kyle McDonald & Lauren McCarthy, Simone C. Niquille, Dani Ploeger, Lucy McRae, Shinseungback Kimyonghun, Maija Tammi, Troika, Coralie Vogelaar, Liam Young
Kuratiert von Sabine Himmelsbach, Ariane Koek und Angelique Spaninks
Ein umfangreiches Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm wird die Ausstellung begleiten. Stattfinden wird u.a. ein Kolloquium am 21. Oktober 2020 in Zusammenarbeit mit der TA-SWISS, der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung im Bereich „Soziale Roboter“ und die Performance „Cyberia“ der Künstler Maria Guta & Adrian Ganea am 13. und 14. November 2020 - eine Tanzperformance in der eine Tänzerin einem Avatar begegnet.




  • IMAGE
    Tessa Mars, A Vison of Peace, Harmony and Good Intelligence I, 2020

Cookies

+

To improve our website for you, please allow a cookie from Google Analytics to be set.

Basic cookies that are necessary for the correct function of the website are always set.

The cookie settings can be changed at any time on the Date Privacy page.