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NOTIZEN AUS CHEMNITZ: GEGENWARTEN

Eine Ostdeutsche Stadt mit dem Ziel Europäische Kulturhauptstadt 2025 zu werden.

“Ist dies die Eröffnung?” fragte ich verwirrt in die Runde. Eine ruhige, kritische Masse schaut in Richtung einer Bühne, auf der Sarah Sigmund und Florian Matzner, Kurator*innen von "Gegenwarten", bescheiden über ihre Ausstellung ‘Gegenwarten’, die diesen Sommer in Chemnitz stattfindet, berichten. Die partizipierenden Künstler*innen werden nicht genannt, die Oberbürgermeisterin ist nicht zu sehen, und der anwesende Bau-Bürgermeister begrüßt das Projekt der städtischen Kunstsammlungen als Teil einer europäischen Kampagne. Chemnitz, sowie Essen, Hannover, Nürnberg und Magdeburg konkurrieren für die Kulturhauptstadt 2025. Ist es Angst, die ich spüre?

Roman Signer, Versinken, 2020. Photo: Roman Mensing

 

Mitte August eröffnete die allererste Ausstellung zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Chemnitz als kleiner Parcours voller Potentialität, zur überfälligen Revision ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse. Zwischen Baustellen rund um die eklektischen Gebäude und Plätze einer Stadt wird Leere zum Thema, sowohl im Stadtraum, als auch in ihrer Erinnerungskultur. Während im Fernsehen über Armut und Frustration im Osten immer noch mit stereotypen Erzählungen die Spaltung zwischen West- und Ostdeutschland weiter geöffnet wird, Versucht ‘Gegenwarten’ die Wunden einer noch nicht geheilten Wiedervereinigung mit Kunstwerken zu kurieren, die sich auf die Komplexitäten einer Stadt, die seitdem Chemnitz heißt, und nicht mehr Karl-Marx Stadt, beziehen. Tobias Zielonys Zombie-Nazi-Horror-Film "Die Untoten" ist ein guter Start um die gemischten Gefühle der Bürger*innen zu dieser Ausstellung, und darüber hinaus West-Ost-Spaltung in Deutschland zu thematisieren. 

Tobias Zielony, Still aus dem Film 'Die Untoten', 2020

In mit Rechtsextremismus sympathisierenden und konservativen Kanälen, wie die Freie Presse aus Sachsen, werden die Kunstwerke anonymisiert und in Frage gestellt, manche sind von Anfang an unerwünscht, wie die Arbeit von Roman Signer. In Chemnitz versenkte der in 1938 geborener Schweizer nahe der Schloßteichinsel ein altes Auto, das die Passant*innen von einer Brücke aus unter Wasser sehen können. Fragen treten auf. Was ist geschehen? Wo sind die Insassen? Wie geht die Geschichte weiter? Auch wenn die Installation mit dem Unbehagen von Katastrophenbildern um sich wirft, sei der „Unfall“ gerade nicht passiert, sondern vandalistische Angriffe.

Ein Tag vor der Eröffnung entstand ein Eclat auf Twitter. Peng! Collectives Ausstellung “Antifa- Mythos und Wahrheit” den Finger in der Wunde reingesteckt, was dazu wiederrum Frederic Bussmann, Direktor der Chemnitzer Kunstsammlungen, in Schwierigkeiten brachte. Es ging weniger um die symbolischen Objekte einer Antifa, die als Verein nicht existiert, aber als solcher dämonisiert wird, und die dazugehörige Versteigerung der Objekte zur finanziellen Unterstützung von antifaschistischen Gruppen in Chemnitz. Vielmehr ging es um die Behauptung “Sachsen braucht die Antifa”, die viele Rechtsextremisten provoziert hat.

Alles dreht sich sonst um den riesigen Kopf von Karl Marx. Jemand meinte bei dem Spaziergang, angedacht war sein gesamter Körper als Riesenskulptur, doch bei den Proportionen hätten Menschen auf der Höhe seiner Füße gestanden. Das machte natürlich weder ideologisch noch ästhetisch Sinn. Eine neue Skulptur rund um Marx ist jetzt ein paar Meter weiter im Schillerpark dank Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová für alle als sein Darm sichtbar. Die Künstler*innen zitieren mit dieser Arbeit die Vermutung, dass allein der Kopf nicht nur Ort des menschlichen Bewusstseins ist, sondern ebenso Hände, Herz und Innereien. Diese Darstellung ist nur mit der ‘Zerstückelung’ des idealisierten Körpers des Helden, des Patriarchen, möglich, als Platzhalter für eine Revolution die nicht zu Ende gedacht wurde.

Anetta Mona Chisa & Lucia Tkacova, The Gut / Der Darm, 2020. Photo: Roman Mensing

„Antifa – Mythos & Wahrheit“ von Peng! Collective ist eine scharfe Provokation in Form einer Ausstellung im Museumsshop des Museum für Moderne Kunst zur Antifa als internationale Organisation, die in Wirklichkeit keine Rechtsform ist. Antifa ist Antifaschismus, und keine terroristische Gruppe, wie die Kriminalisierung der Antifa Hass-Kommentare online entstehen lässt, oder Trump es gerne als Mafia hinter der Black Lives Matter Bewegung zu inszenieren versucht. Doch die Arbeit von Peng! fängt erst da an.

‘Gegenwarten’ ist, trotz aller vermeintlichen Verlegenheiten und Widersprüchen einer Stadt, die eine dringende demographische Pluralisierung und sozio-ökonomische Verstärkung ihres Außen- und Innenbildes bräuchte, mehr als eine Versammlung von Kunst im öffentlichen Raum im Stil neoliberaler Ausschüttung von Geldern zur politisch neutralen Beschmückung von Gebäuden, wie eben skrupellos langweiliger Kitsch von Neo Rauch im Bundestag, Olafur Eliasson generell, oder Tony Craggs Klotzen vor dem Palais Populaire in Berlin.

Peng! collective, Antifa - Mythos und Wahrheit, 2020. Photo: Roman Mensing

Auf Straßen sozialistischer Größe sind in diesem Sommer keine Paraden zu erleben, sondern einzelne Installationen, die auf angenehmste Weise Fragmente von aktueller und historischer Einsamkeit und Isolation zusammenbringen, in Akten gefühlvoller Reevaluierung gesellschaftlichen Bewusstseins. ‘Sprich mit mir, Grundrechte’ ist dafür vielleicht das klarste Beispiel. 50 Chemnitzer*innen erzählen Anna Witt über ihre subjektiven Beziehungen zu den Grundrechten. Weniger basierend auf statistischen Zahlen und Fakten, mehr auf den Empfindungen und Erfahrungen jeder/s Einzelnen. Auf Nachfrage lesen Frauen unterschiedliche gesammelte Gespräche vor. Hier geht es um alles: die aktuelle Debatte um das Coronavirus und ihre Auswirkung auf die Gesellschaft, die Debatte um das Streichen des Begriffs „Rasse“ aus dem Artikel 3 des Grundgesetzes, warum plötzlich Menschen als “Rechte” bezeichnen werden, und wie man mit dieser Polarisierung umgehen sollte. 



Anna Witt, Sprich mit mir, Grundrechte!, 2020. Photo: Roman Mensing

Das ist keine einfache Aufgabe für die Kunst. Es gibt allerdings Ruhepole wie die Kompositionen von Hanna Eimermacher, Public Possession, Rainer Römer und Steffen Schleiermacher, die Olaf Nicolai für das Glockenspiel (ital. „campanelli“) im Turm des Neuen Rathauses spielen lässt. Oder die neuen Gärten am Platz an der Alten Post von Atelier Le Balto. Seit fast 20 Jahren schaffen Véronique Faucheur, Marc Pouzol und Marc Vatinel ästhetische Orte der Begegnung und des Austauschs in der Natur, und in Chemnitz resultieren deren installierte Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten in einer ungewöhnlichen, fast surrealen, doch entspannenden Atmosphäre, im Kontrast zu den brutalistischen und mittelalterlichen Gebäuden der Altstadt.

Die Installation im Foyer des Museums Gunzenhauser von Henrike Neumann ist nicht zuletzt eine weitere Öffnung in der Erklärung von symbolischer Ordnung auf der Ebene von Design und Interieur. Neumann erkundet und reflektiert über die Entstehung und Geschichte rechtsextremistischer Gesinnung und die Mechanismen manipulativer und faschistischer Gewalt. Gleichzeitig setzt sie sich mit der Ästhetik von privaten Alltagsräumen auseinander – sie selbst bezeichnet Möbel als Medium ihrer Wahl. ‘Evolution Chemnitz’ bietet somit unterschiedliche Kapitel deutscher Geschichte verteilt nach der Farbanordnung der verschiedenen Etagen des Hotel Elisenhof; einem bekannten Treffpunkt von Rechtsradikalen in der Chemnitz. Damit dreht sie das Schicksal der Stadt nicht im Freifall blickend auf die Vergangenheit, sondern nach vorne, in eine Umbruchszeit neuer Auseinandersetzungen aus den Scherben der Wiedervereinigung Deutschlands.

Mischa Kuball nimmt diese Aufgabe auf eine eher plakative, partizipatorische Ebene und baut ein Gerüst neben das Brecht Monument, das jede/r als Bühne für sich nutzen kann. Schauspielstudierende, Yoga Fans und Musiker*innen waren bisher Protagonist*innen auf Kuball’s Version vom “Lob der Menschheit”. Von allen Teilnehmer*innen wird ein gewisses Maß an Respekt und Selbstverantwortung erwartet, meinte der Künstler und verweist damit auf Chemnitz’ soziale, politische und kommunale Spezifität. Seit August 2018 hat die Stadt durch Angriffe auf Flüchtlinge einen internationalen Ruf bekommen, der Verbesserungsbedarf hat. Diese Ausstellung öffnet den Weg dahin, über den Wettbewerb um die Kulturhauptstadt hinaus.




 

Mischa Kuball, Lob der Menschheit, 2020. Photo: Roman Mensing

 

Image: Mischa-Kuball, Lob der Menschheit (2020)

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