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OUTFITTING ALS ASSEMBLAGE

Über Isa Genzken.

  • Mar 07 2022
  • Jeppe Ugelvig
    (b. 1993) is a curator and cultural critic based in New York and London. His research focuses on aesthetic production under capitalism. He is the founding editor-in-chief of Viscose, a journal for fashion criticism and analysis.

"Sich in der modernen Welt 'anzuziehen', ist eine Frage der Bricolage, der Zusammenstellung von Kleidungsstücken und Accessoires, die wir in der Regel nicht selbst hergestellt haben, zu einer fertigen 'Erscheinung'. Jeder Mensch ist eine wandelnde Collage, ein Kunstwerk aus 'Fundstücken' – oder vielleicht etwas, das einer zeitgenössischen Installation ähnelt, die sich in der Interaktion mit ihrem Publikum verändert."[1]

- Elizabeth Wilson

1836 veröffentlichte der britische Schriftsteller Thomas Carlyle Sartor Resorts (etwa: "Der maßgeschneiderte Schneider"), einen satirischen und hochspekulativen Roman über den fiktiven deutschen Philosophen Diogenes Teufelsdröckh und dessen Schrift Kleider: Ihr Ursprung und Einfluss. In dem Buch verbringt der Philosoph Tage damit, die Kleidung von Passanten zu entschlüsseln, immer auf der Suche nach den versteckten Bedeutungen, die in den Falten eines Hemdes, in der Rüsche eines Kleides, in der Höhe eines Hutes zu finden sind – letztendlich aber scheitert er daran, in dieser Sache eine konkrete These oder Schlussfolgerung zu bilden. Dennoch kann Carlyle durch die performative Kritik an Teufelsdröckhs (abwesender) Schrift das Verdienst zugeschrieben werden, versehentlich das Konzept der 

Modesemiotik, der Deutung von Kleidern als bedeutsamen Symbolen, erfunden zu haben. Und das etwa 130 Jahre vor Roland Barthes' Die Sprache der Mode, einer anderen Studie, die oft als gescheiterter Versuch einer umfassenden Modetheorie gilt. Beide Bücher belegen, dass die Entschlüsselung der Signifikanten der Mode eine nahezu unlösbare Aufgabe ist. Sie befinden sich in ständiger Bewegung und ihre persönliche, materielle, politische, historische und kulturelle Bedeutung wandelt und verkehrt sich andauernd. Als Objekte sind Kleider sowohl äußerst ausdrucksstark als auch hoffnungslos stumm; sie sind, wie Carlyle es zusammenfasste, "unsagbar bedeutungsvoll".

Dieses Rätsel der Kleidung und ihrer Unlesbarkeit kristallisiert sich in der Bildhauerei heraus. Sie löst Kleidungsstücke aus ihrem traditionellen Habitus des Alltagslebens heraus und präsentiert sie stattdessen als ortlose, in der Zeit eingefrorene Objekte. Ihrer zeitlichen und sozialen Existenz beraubt, werden sie auf ihre Objekthaftigkeit und Materialität reduziert und spiegeln unsere tiefe, aber weitgehend ungelöste semantische Beziehung zur Kleidung wider. Diese Geste ist den sonst so unterschiedlichen Skulpturen der Künstlerinnen Isa Genzken und K8 Hardy gemein, die sich aus grundlegend verschiedenen Perspektiven, aber weitgehend im selben Zeitraum dem Ankleiden von Schaufensterpuppen widmeten. Genzkens späteres bildhauerisches Werk beinhaltet bekanntlich eine Umarmung und umfassende Einverleibung der "Dinge" der Welt. Ihre Serie Schauspieler (2013-2015), die aus einer Reihe aufwändig gestalteter, und entweder allein, zu zweit oder zu dritt gruppierter Schaufensterpuppen besteht, bedient sich dieser Logik der Warenakkumulation insbesondere durch Kleidung. In ähnlicher Weise zeigt K8 Hardys skulpturale Serie Docudrama (2016) eine Armee von Schaufensterpuppen in ausgefallenen, auffälligen und farbenfrohen Kleidern. In beiden Fällen vermitteln diese modischen Körper keine unmittelbare und offensichtliche Bedeutung oder Botschaft, obwohl die Titel – "Schauspieler" und "Dokumente" – auf ein Versprechen der Repräsentation anspielen, auf eine Art verschlüsselte Botschaft. Dabei ist es weniger der Anthropomorphismus der Figuren, der eine repräsentative Funktion erfüllt, als es vielmehr die von den Künstlerinnen zusammen- und nebeneinander gestellten Kleidungsstücke sind, die sie schmücken. Genau wie im Fall ihrer Verwendung in den Konsumräumen der Modebranche sind die Schaufensterpuppen hier Stellvertreterinnen: Sie nehmen eine konstruierte Neutralität an, um den Kleidern Raum zu geben, damit sie etwas auf oder im Namen von Körpern bedeuten. Aber was bedeuten sie genau? Genzkens und Hardys Heerscharen konfrontieren die Frage der künstlerischen Assemblage mit der des Ankleidens und nutzen sie, um Assoziationsräume frei zu ringen.


Assemblage und Bedeutung

Kleidung, so Barthes, ist – wie von Menschenhand geschaffene Objekte im Allgemeinen – ein heikles semantisches Vehikel, weil sie "gewissermaßen gegen uns"[2] weiterbesteht. Während vom Menschen hergestellte Objekte in erster Linie durch ihre Funktion verstanden werden, bestand Barthes darauf, dass sie ebenso sehr als Träger von Bedeutung dienen: "Das Objekt ... dient einem Zweck, aber es dient auch dazu, Informationen zu vermitteln; wir könnten es so zusammenfassen, dass es immer eine Bedeutung gibt, die den Gebrauch des Objekts übersteigt."[3] Kleidung hält uns warm, trocken, bedeckt unsere Nacktheit – aber dazu kommt immer ein anhaltender Bedeutungsgehalt. Dieser semantische Prozess wird, so Barthes, in dem Moment in Gang gesetzt, in dem ein Objekt von der Gesellschaft aufgegriffen und konsumiert wird, wenn es als Kommunikationsmittel in den Austausch zwischen Menschen tritt. Natürlich wurden Kleider von den Semiotiker*innen schon früh als eigenständige semantische Bedeutungsträger betrachtet, die wichtige Informationen enthalten können über diejenigen, die sie tragen: Alter, Geschlecht, sozialer Status, Klasse, Region des Wohnortes, Nationalität, Religion usw.[4] Selbst Barthes' eigene Beschreibung der Semantisierung von Objekten erinnert unwillkürlich an den Begriff der Kleidung: "Alle Gegenstände, die zu einer Gesellschaft gehören, haben eine Bedeutung. Um Objekte ohne Bedeutung zu finden, müssen wir uns Objekte vorstellen, die völlig improvisiert sind; um die Wahrheit zu sagen, kann man solche Dinge nicht finden; eine berühmte Seite in Lévi-Strauss' Das wilde Denken sagt uns, dass die Bricolage, die Erfindung des Objekts durch einen Bricoleur, durch einen Amateur, selbst die Suche nach und die Auferlegung einer Bedeutung in Hinblick auf das Objekt ist. Um absolut improvisierte Objekte zu finden, müssten wir uns in völlig asoziale Zustände begeben; wir können uns vorstellen, dass ein Landstreicher, der zum Beispiel Schuhe aus Zeitungspapier improvisiert, ein vollkommen "freies" Objekt herstellt; aber auch das ist nicht so – sehr schnell wird diese Zeitung nämlich zum Zeichen des Obdachlosen. "[5]

Yves-Alain Bois zitiert diese Passage in einem Essay über Isa Genzken, in dem er die frivole und scheinbar unaufhaltsame Absorption von Konsumgütern in ihren Assemblage-Arbeiten kommentiert. Für Bois grenzt jedoch die Fülle an gefundenen "semantischen Objekten" (alle Objekte sind bereits semantisch) in Genzkens Werk an einen Bedeutungszusammenbruch, indem er "den semantischen Horror vacui von Objekten (ihre Unfähigkeit, Bedeutung auszulöschen) [innerhalb] der Praxis der Bricolage"[6] heraufbeschwört. Als postmoderne "'bag-lady des 21. Jahrhunderts umwirbt (und kommentiert) Genzken mit ihren Skulpturen eine Situation des Überflusses. Wenn sie eine bag-lady ist, dann eine, die die Mittel hat, die Waren (oft aus Plastik) zu kaufen, die sie in ihren Assemblagen vandalisiert und beschmiert, indem sie sie aggressiv ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Sie ist eine gefräßige Konsumentin, eine jedoch, die mit der Ware auf Kriegsfuß steht: Alles, was sie kauft – selbst die teuersten Designobjekte –, erklärt sie sofort zu Müll."[7] In Anlehnung an Bois liest Hal Foster ihr Werk als Symbol für eine Art "Wahnsinn im fortgeschrittenen Kapitalismus", der durch seinen "junkspace der Waren"[8] gekennzeichnet ist; ein Junkspace, der rasch in den autonomen Raum der Skulptur und deren mythisierte minimalistische Objekthaftigkeit eindringt. Der Kunstkritiker Walter Robinson schließlich bezeichnet Genzkens modifizierte Schauspieler-Skulpturen als "schizo-konsumistisch" und "psychisch verlassen" – "eine lyrische Reaktion auf die Welt als irrationales, zerstörerisches System".[9]

In dieser Baudrillard'schen Behandlung werden Genzkens bekleidete Figuren enthüllt als wenig mehr als Quasi-Subjekte, die aus der bedeutungslosen Leere des Schizo-Kapitalismus auftauchen, wo alle Zeichen – außer dem der Akkumulation – verloren gehen. Die Bedeutung der Kleidung, die "implodiert", erinnert an Baudrillards früheres Argument einer post-strukturalistischen Semiotik, in der die Zeichen eine rein selbstreferentielle Funktion übernehmen, um letztlich jede Bedeutung zu transzendieren. In Der symbolische Tausch und der Tod (1976), seiner vernichtenden Kritik am französischen Nachkriegskonsumismus, hat Baudrillard die Sackgasse der Modesemiotik genau umrissen: "[i]n der Mode", schreibt er, "wie im Code, lösen sich die Signifikanten auf [se défiler], und die Paraden der Signifikanten [les défilés du significant] führen nirgendwohin... Alle Kulturen, alle Zeichensysteme werden in der Mode ausgetauscht und kombiniert, sie kontaminieren sich gegenseitig, binden ephemere Gleichgewichte, in denen die Maschinerie zusammenbricht, in denen es nirgendwo eine Bedeutung [sens] gibt. Die Mode ist das rein spekulative Stadium in der Ordnung der Zeichen".[10]

Aber bedeuten Genzkens Schauspieler wirklich nichts anderes als den Zusammenbruch von Bedeutung im Zeitalter des Konsums? Ist es das, was Genzken darstellt, wenn sie zwei männliche Figuren um eine Harfe herum arrangiert, beide bekleidet mit aufgeknöpften Fake-Burberry-Hemden (die ihre muskulöse Brust enthüllen), Clownshosen, einem provisorischen, halb abnehmbaren Rock aus einer Vinyltischdecke und einem Hut? Oder durch eine weibliche Figur, die stoisch nackt dasteht, weiß geschminkt und mit hochgestecktem Haar, bekleidet nur mit Skihandschuhen und zwei Vögeln auf den Schultern? Durch ihre sorgfältig zusammengestellten Ensembles scheinen diese Figuren zu eigenwillig, um Chaos oder Gerümpel zu repräsentieren, sie wirken eher wie ausgeprägte Quasi-Subjekte, wie Charaktere. Sie sind ausgestattet [outfitted, d. Übers.], wie Philipp Ekardt in einer Gegenreaktion auf Bois und Foster vorschlägt, indem er auf die aktive und entscheidende Praxis des Anziehens hinweist, die in der Kunstgeschichte lange Zeit als eigene Form der (künstlerischen oder sonstigen) Produktion abgetan oder ignoriert wurde. In Genzkens Serie findet Ekardt in der Kleidung von Bauarbeitern, Kindern und Einblicke in das subkulturelle Nachtleben ebenso wie in ihrem Werk intertextuelle Bezüge zur Kunstgeschichte oder zu anderen Werkgruppen.[11] Anstatt den "reinen" Raum der Skulptur zu behaupten, in dem die Leere des Schizo-Konsumismus durch die Technik der Assemblage symbolisch und angemessen inszeniert werden kann, sieht Ekardt reiche formale Bezüge zur persönlichen, künstlerischen und ökonomischen Biografie und letztlich zum Vorschlag des Outfitting als Produktionsform, als Arbeit. Das Outfitting als eine Art seltsamer, oft illegitimer Cousin der Assemblage ist nicht nur bedeutungsvoll – es ist absichtsvoll, strategisch und in der Lage, klare semiotische Botschaften durch den kodierten Raum des Stils auszusenden.[12]


Stil, Identität: Kleidung als Image

"Diese pauschale Aussage, dass man eine Person nicht nach ihrer Kleidung beurteilen sollte, finde ich lächerlich. Jedes Kleidungsstück ist so mit Bedeutungen aufgeladen. Ich weiß nicht, wie man nicht Geschichten über Menschen und ihre Wünsche erfinden kann, eben weil sie etwas anhaben."

-K8 Hardy

Kleidung als legitimes semiotisches Mittel umgibt das Werk und die Sprache von K8 Hardy in viel größerem Maße als das bei Genzken der Fall ist. Hardys Werk, das die Genres Video, Skulptur, Publikation und Performance umfasst, wurde als Analyse des "sozialen Spiels und der politischen Funktion von Kleidung"[14] bezeichnet und untersucht die Interaktion zwischen Kleidung, dem Ankleiden und der Performance von Identität. Die eigene Biografie der Künstlerin – eine texanische Lesbe und ehemalige Stylistin mit einer Vorliebe für Secondhand-Kleidung sowie einer Leidenschaft für Verkleidungen – fließt in einen Großteil ihrer Arbeit ein, die sich nicht nur mit dem sozialen Nutzen von Kleidung, sondern auch mit deren Einbindung in den größeren sozioökonomischen Kontext der Mode als Industrie und Kommunikationsform beschäftigt. In der Tat ist Kleidung in Hardys Werk ein Marker für Autobiografie und Identität, allerdings auf subversive Art und Weise: Ihr 82-minütiges Video Outfitmentary (2001-2012/2016) beispielsweise skizziert ein Porträt der Künstlerin, indem es ihre Outfits aus zehn Jahren zusammenführt, die in unregelmäßigen Abständen von einer Webcam in ihrem Schlafzimmer dokumentiert wurden. Die Ensembles reichen von leger (Jeans und ein rosa Sweatshirt, weiße Sneaker mit Klettverschluss) bis hin zu ornamental (fluoreszierendes Kleid, Anzug-Trenchcoat, Fedora, rosa Rock und gepunktete Seidenbluse, ein Hut mit Trauerschleier) und formen dabei, wie die Kritikerin Sara Marcus bemerkt, zeitweise Assemblagen von verschiedenen Teilen zu präzisen Identitätsindikatoren wie "Western-Dame", "Punk-Gamine", "Butch-Dandy", "Preppy Urlauberin", "Weimarer Rebellin" und "queeres Brooklyn um 2002".[15] In diesem Prozess produziert die Zusammenstellung von Kleidungsstücken keine Konfigurationen von kapitalistischem Trash, sondern Bilder verschiedener Styles, die so spezifische Dinge wie "butch", "rebel" oder "Brooklyn queer" bezeichnen.

Marcus merkt jedoch an, dass in Outfitmentary "[Hardys] Looks graduell weniger kategorisierbar werden, als ob es zu einfach geworden wäre, kohärente Gruppen von Kleidungsstücken zusammenzustellen, und der Trick nun darin bestünde, Looks zu produzieren, die überhaupt keinen Präzedenzfall haben."[16] Kleidung als Indikator für stabile Identitäten ist notorisch zu vereinfacht, nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Modekritik und in den älteren Institutionen der Modegeschichte. Indem sie sich gegen die einfache Lesart von gestylten Körpern als determinierte Identitäten wendet, treibt Hardy ihre Arbeit in Richtung Inkohärenz und stört jede stabile Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat. Sie tut dies genau wie Genzken – durch das Outfitting, den Akt des Anziehens. Diese semiotische Überschreitung erstreckte sich auch auf ihren Beitrag zur Whitney Biennale 2012, Untitled Runway, wo Hardy Models in geschrumpften T-Shirts, zerschnittenen Prinzessinnenkleidern, ausgetretenen Turnschuhen und einer Vielzahl von Fundstücken als Accessoires über den Laufsteg schickte – Ensembles, die sich 2016 direkt auf ihre Docudrama-Serie von Mannequin-Skulpturen übertragen sollten. In letzterer wird die 
Live-Performance als permanente dreidimensionale Skulptur fixiert, und diese Fixierung unterstreicht nur noch mehr das Fehlen jeglicher leicht erkennbarer Charaktere in ihren Skulpturen – es bleiben nur gebrochene Bedeutungen, die sich aus der Aneinanderreihung von Kleidungsstücken zu Outfits ergeben.

Das Outfitting – als Unterform der Assemblage – beschwört eine Art semiotischen Wirbelsturm herauf, da es in einem Prozess ständiger Selbstbeschränkung und Transformation zwischen Signifikant und Signifikat, von Materialien, Kleidungsstücken, Körpern und deren Nebeneinanderstellung operiert. Sie produzieren nicht so sehr zusammenhängende Bilder, sondern vielmehr Bedeutungsströme oder -ökonomien, um es mit den Worten von David Joselit zu sagen. In seinem kurzen Essay "Against Representation" aus dem Jahr 2014 fordert Joselit eine Neubewertung unserer grundlegenden ikonografischen Herangehensweise an Bilder, bei der die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat kollektiv identifiziert und dauerhaft festgelegt wird:

"Wir stellen eine falsche Gleichung auf – einen Austausch – zwischen einem endlichen Quantum an Materie und einzigartigen Bildern... in Wirklichkeit aber erzeugen Kunstwerke eine unendliche Folge von Bedeutungen, indem sie Konfigurationen von Bildflüssen formatieren: Sie schaffen eine dynamische Situation, anstatt einen Signifikanten an einen Signifikanten zu binden."[17]

In einem Prozess des semiotischen Flusses, in dem entweder nicht alle Signifikanten in einem gemeinsamen Raum gleichzeitig erfasst werden können oder ihr Signifikat ganz oder teilweise fehlt, entzieht sich ein Kunstwerk – genau wie ein gutes Outfit – jeder einzelnen, stabilen Repräsentation als Bild, sondern produziert und überträgt in einem Prozess der ständigen Erneuerung ständig gebrochene Bilder. Dieses rekonfigurierte Konzept des Bildflusses dient als Alternative zu Baudrillards Argument der Übersignifikation der Mode, die in sich selbst zusammenfällt. Auch innerhalb der Modestudien wurde Baudrillards Theorie der totalen "fadenlosen Signifikation" für ihre pauschale Bewertung kritisiert, eine Analyse der Kleidung, die wie die von Barthes hauptsächlich von der buchstäblichen Bildproduktion der Modeindustrie abgeleitet wurde, wie sie in Zeitschriften und Werbung zu finden ist. Baudrillard und seine Anhänger verwechseln die Fragmentierung des modischen Codes mit seinem Verschwinden, und vergessen, dass die Vielfalt und Inkongruenz der Stile nicht von Natur aus bedeutungslos oder mehrdeutig sind, sondern vielmehr so kodiert, dass sie in erster Linie oder ausschließlich von denjenigen verstanden werden, die bestimmte semiotische Kontexte teilen oder in sie eingeweiht sind.[18] Während Genzken die Bedeutung (wie privat oder nischenhaft sie auch sein mag) in der Kleidung ihrer Subjekte wiederherstellt, unterbricht Hardys dekonstruktiver Ansatz die "moderne" ikonografische Fixierung zwischen Kleidung und Identität, was eine explorativere Untersuchung des Potenzials von Kleidung ermöglicht, gleichzeitig zu bedeuten und zu verzerren. Gemeinsam betonen sie, dass Kleidung weder zufällig noch indexikalisch, weder gegenständlich noch abstrakt ist. Vielmehr ist das Ankleiden ein dynamischer Prozess, der die Grenzen der Semiotik selbst berührt und der die oft strategische Unbeständigkeit der Zeichengebung durch den Körper anerkennt.


Das Kleidungsstück als objet trouvé

Sowohl bei Genzken als auch bei Hardy kehren wir also zu der grundlegenden Frage zurück: Wie verstehen wir die Bedeutung von Kleidung? Wenn Genzkens Schauspieler mehr bedeuten als nur kapitalistischen Trödel, und wenn Hardys Dokumente mehr ausdrücken als nur identitäre Bilder, was wird dann durch diese gefundenen Kleidungsstücke ausgedrückt, wenn sie von den Künstlerinnen zusammengestellt und ausgestattet werden? Was beide Praktiken andeuten, ist eine Art Unzugänglichkeit für die Bedeutung von Kleidung, da sie zu den großen Kreisläufen der Konsumkultur gehören, die selbst nicht greifbar sind – in dem Sinne, dass sie niemals erfolgreich bezeichnet werden könnten.  Die Undurchsichtigkeit der Signifikation von Mode und die Unzugänglichkeit der Bedeutung von Kleidungsstücken ist für Hardy ein zentrales Anliegen; in einem Interview erklärt sie ihre Liebe zum Einkaufen und zum "Thrifting", einer Praxis, die sie auf ihrer Suche nach skulpturalem Rohmaterial in Secondhand-Läden quer durchs Land führt und die, wie sie erklärt, eine seit langem bestehende "Erzählmanie" befriedigt. "Ich interessiere mich für die seltsamsten Dinge. Natürlich finde ich gerne coole Alltagskleidung, aber ich interessiere mich mehr für skurrile Stücke, für Kleidung, die keinen Sinn ergibt"[19], schreibt sie (kursiv von mir, J. U.): In der distributiven Erschütterung der Weitergabe an andere Hände geht die Bedeutung von Kleidung verloren und wird der Welt der Information entzogen, auch der des Assembleur*in, die dem Objekt außerhalb seiner früheren Bedeutung (seiner Geschichte, seiner Herkunft, seiner früheren Nutzer) begegnet und stattdessen als biographieloses Objekt "von ihm" erzählen muss. "Ich liebe es, Kleidung anzuschauen, darüber nachzudenken, wer sie getragen hat, die Textilien und das Etikett zu betrachten"[20], erklärt Hardy, die aktiv nach der Semantik von Kleidung sucht und diese interpretiert, ohne ein bestimmtes Ziel oder eine "Repräsentation" vor Augen zu haben. Hier fungiert das gefundene Kleidungsstück als erzählerische Stütze sowohl für die Künstlerin als auch für die Betrachter*in.

Auch Genzken ist als Trödlerin und Shopperin bekannt und dafür berüchtigt, dass sie Unmengen von Stoffen aus Billigläden und Kaufhäusern anhäuft. Die Kleidungsstücke, die in ihrer Schauspieler-Serie auftauchen, sind eine Mischung aus eigener Kleidung und gefundenen oder gekauften Gegenständen, die, ähnlich wie bei Hardy, die Künstlerin aus unbekannten Gründen angezogen haben. Bei der Präsentation ihrer Schauspieler-Cluster inszeniert Genzken eine Umgebung, die einem Theater- oder Filmset ähnelt, in dem Körper in verschiedenen Stadien des Ankleidens zu sehen sind, wobei jedoch das Drehbuch oder die Erzählung unbekannt bleiben. Ein Outfit, bestehend aus einer zerschlissenen College-Jacke, auf deren Rücken die Buchstaben "NY" aufgesprüht sind, gepaart mit einer roten Röhrenjeans, einer Blumenkrone und einer lila Hookah, fühlt sich sicherlich bedeutungsvoll und erzählerisch aufgeladen an – und doch wird kein zusammenhängendes Bild oder eine Geschichte geboten, und die Bedeutung bleibt bruchstückhaft, unzugänglich, privat, verloren. Caroline Busta schreibt über Genzkens Schauspieler: "Wir könnten diese Figur stattdessen als Verweigerung der Kommunikation verstehen.... Wenn man bedenkt, dass Information eine Währung ist und der postfordistische Kapitalismus von jedem verlangt, so flüssig wie möglich zu kommunizieren, dann ist es vielleicht so, wie ein radikaler Körper aussehen sollte."[21] Wie Joselit argumentiert, kann die Weigerung, als stabiles, identifizierbares Bild zu kommunizieren, als ein Akt des Widerstands gegen die erwartete Kommunizierbarkeit von Informationen über Körper im fortgeschrittenen Kapitalismus verstanden werden.

Die Assemblage – vor allem das Outfitting – spiegelt also mehr als alles andere die eigene Neugier und Anziehungskraft der Assembleur*in auf Objekte und ihre (semantische und funktionale) Rolle im Leben wider. Letizia Ragaglia schreibt über Genzken, dass ihre Skulpturen "eine Art Nabelschnur besitzen, die sie mit der Realität verbindet, eine physische Beziehung, die in ihrem Wesen dem Readymade sehr nahe kommt und vom Konzept der künstlerischen 'Erfindung' im Allgemeinen entfernt ist: In ihrer Kunst geht es nicht darum, neue Formen zu erfinden, sondern die Komplexität der realen Welt zu 'hören' und zu kanalisieren".[22] Dieser Prozess des Zuhörens oder Decodierens, der zutiefst subjektiv ist und von einer Vielzahl von Bedingungen und Betrachtungspositionen abhängt, beinhaltet einen aktiven und selbstbewussten Prozess der Analyse der eigenen bewussten und unbewussten Reaktion auf Kleidung. Die "narrative Manie", die der Kleidung anhaftet, umfasst den Wunsch, das Leben eines Kleidungsstücks von der Herstellung und dem Austausch bis hin zu Gebrauch, Verlust und Wiederentdeckung zu erfassen; die Leben, mit denen es verwoben war; ja, sogar seine Wiederverwendung als skulpturales Material. Das Outfitting inszeniert das Kleidungsstück als eine Art "Objet petit a"; es ist für immer unerkennbar und ungeheuer faszinierend.[23]

In einem Essay aus dem Jahr 1964 schreibt Barthes, dass "das Kleidung eine Art Schrift ist und die Zweideutigkeit der Schrift besitzt"; "gute Kleidung muss materiell genug sein, um zu bedeuten, und transparent genug, um ihre Zeichen nicht in Parasiten zu verwandeln".[24] Wenn Kleidung von Künstler*innen als eine Form der künstlerischen Produktion übernommen wird, ist es die Aufgabe von Betrachter*innen und Kritiker*innen, ein Vokabular, eine Grammatik und eine Syntax zu entwickeln, um sie zu entschlüsseln.[25] Unterhalb und jenseits der offensichtlichen Bedeutung von Kleidung liegt ein tieferes und umfassenderes Feld, das Akte der Wahl, des Begehrens, der (Selbst-)Identifikation und das eigentliche Ritual des Kleidens markiert. Diese Betrachtungsweisen müssen in eine intimere Untersuchung der Kleidung als skulpturales Material einbezogen werden. Die ewig mehrdeutige und irrationale Natur der Kleidung muss jedoch immer in einer Studie über Kleidung berücksichtigt werden: Sie erinnert uns daran, dass das Spiel mit festen Bedeutungen, die Ablehnung einer permanenten Repräsentation, der ultimative Akt der Freiheit ist.

 

This text was first published in English in Viscose Journal, Issue 2, 2021.

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  • FOOTNOTES
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    [1] Elizabeth Wilson, “Changing Times/Altered States” in Adorned in Dreams: Fashion and Modernity. (New Brunswick, N.J: Rutgers University Press, 2003), S. 249 (eig. Übersetzung, AW)
    [2] Roland Barthes, “Semantics of the Object” in: The Semiotic Challenge, übers. v. Richard Howard (New York: Hill and Wang, 1988), S. 180 (eig. Übers.)
    [3] ebd, S. 182 (eig. Übers.)
    [4] Petr Bogatyrev, “Costume as Sign” in Ladislav Matejka and I. R. Titunik (Hrsg.): Semiotics of Art: Prague School Contributions. (Cambridge, Mass: MIT Press, 1984), S. 13
    [5] Barthes, 1988, S. 183 (eig. Übers.)
    [6] Yves-Alain Bois, “The Bum and the Architect” in Lisa Lee (Hrsg.). October Files: Isa Genzken (Cambridge, Mass: MIT Press, 2005) S. 164 (eig. Übers.)
    [7] ebd. S. 166
    [8] Hal Foster, “Fantastic Destruction” in Lee (Hrsg.), 2005, S. 198
    [9] Walter Robinson, “On Isa Genzken at MoMA and the Schizoconsumerist Aesthetic” auf Artspace.com, Januar 2014, http://www.artspace.com/ magazine/contributors/see_here/isa_genzken_at_moma-51974
    [10] Jean Baudrillard, “Symbolic Exchange and Death. Theory, Culture & Society” (Sage Publications 1993), S. 87 (eig. Übers.)
    [11] Philipp Ekardt, “Isa Genzken’s Dressed Up Assemblage” auf Frieze. com, unter https://www.frieze.com/article/isa-genzkens-dressedassemblage
    [12] Siehe mein eigener Text zum Thema Style: Jeppe Ugelvig, “The Bastard Art of Styling,” Viscose #1, 2021.
    [13] Guy Trebay, “Playing Dress Up for Keeps.” in The New York Times, September 30, 2009. http://www.nytimes.com/2009/10/01/ fashion/01hardy.html.
    [14] ebd.
    [15] Sara Marcus, “Durational Fashion: Sara Marcus on K8 Hardy’s ‘Outfitumentary” in Texte Zur Kunst 102 / Juni 2016, unter https://www. textezurkunst.de/102/durational-fashion/
    [16] ebd.
    [17] Joselit, 2014, S. 94 (eig. Übers.)
    [18] siehe Diana Crane, Fashion and Its Social Agendas: Class, Gender, and Identity in Clothing. (Chicago: University of Chicago Press, 2000), p. 199 – as cited by Efrat Tseëlon, “Jean Baudrillard – Post-modern Fashion as the End of Meaning” in Agnès Rocamora, Anneke Smelik eds., Thinking Through Fashion: A Guide to Key Theorists (London; New York: I.B. Tauris, 2016), S. 215
    [19] Trebay, 2009.
    [20] ebd.
    [21] Caroline Busta, “Body Doubles” in Isabelle Graw, Daniel Birnbaum, Nikolas Hirsch, (Hrsg.): Art and Subjecthood: The Return of the Human Figure in Semiocapitalism (Berlin: Sternberg Press, 2011), S. 38 (eig.Übers.)
    [22] Letizia Ragaglia, “To the Rhythm of Reality: Isa Genzken’s FaitfulRecord of the World” in Isa Genzken
    and Letizia Ragaglia (Hrsg.): Isa Genzken. (Milano; Köln: Mousse Publishing, 2010), S. 19 (eig. Übers.)
    [23] Siehe Rosalind Krauss, “Objet (Petit) A” in Helen Molesworth, Part Object Part Sculpture. (Columbus, Ohio: University Park, PA; Wexner Center for the Arts, The Ohio State University; Pennsylvania State University Press, 2005), S. 84-91
    [24] Roland Barthes, “The Diseases of Costume” in Critical Essays, trans. Richard Howard. (Evanston: Nortwestern University Press, 1972), S. 42
    [25] siehe auch: Alison Lurie, The Language of Clothes. (New York:Random House, 1981)

    IMAGE CREDITS
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    Isa Genzken, “Film Set”, 2015, 5 mannequins, mixed media
    Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York
    VG Bild-Kunst, Bonn

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