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April, April! Eine feministische Praxis ohne Widersprüche?

Über den Sammelband "Politisch, Poetisch, Polemisch – Texte zur feministischen Gegenwart" von Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus, welcher Artikel der ehemaligen ZEIT-Online-Kolumne 10 nach 8 versammelt, die nach zehn Jahren eingestellt wurde.

  • Apr 01 2025
  • Octavia Abril
    ist eine chilenische Schriftsteller*in, die sensibel auf den Lauf der Jahreszeiten reagiert. Ihre Werke gedeihen, beeinträchtigt durch ihre immer wieder neuen Allergien, die sie aufgrund des Klimawandels und industriell verarbeiteter Lebensmittel erleidet, in den Grenzbereichen zwischen Institutionen und Weinbergen. Mit dieser körperlichen Verfassung beschloss sie, Welten und Worte in gefährlichen Küssen zu schaffen. Sie boykottiert Werbung Plakate, ist aber immer für gute Gespräche zu haben.

 

Es wird zwar immer noch nicht vom Mainstream ernst genommen, aber die Tatsache, dass feministische Kämpfe nicht nur gegen patriarchale Strukturen, sondern auch gegen die wirtschaftlichen und medialen Machtverhältnisse die gesellschaftliche Meinungsbildung dominieren, geführt werden müssen, bleibt nach wie vor eine Notwendigkeit für den Widerstand gegen die gegenwärtige Hypermaskulinisierung der digitalen Welt. Während neue Tech-Oligarchen immer mehr Kontrolle innerhalb des abgefuckten kapitalistischen Systems bekommen den digitalen Diskurs in regressive Echokammern verwandeln, sind emanzipatorische Stimmen kontinuierlich gezwungen, sich gegen die Verwertungslogik hegemonialer Wissenshierarchien zu behaupten, sie zu unterwandern und sich ihnen entgegenzustellen. 

Diese Verhältnisse ermöglichen zwar Räume für Subversivität – sie schaffen aber gleichzeitig auch Räume für deren Zerstörung. Caroline Kraft und Elisabeth Wellershausens Sammelband Politisch, Poetisch, Polemisch - Texte zur feministischen Gegenwart  ist nicht nur eine Versammlung feministischer Perspektiven, sondern auch eine exemplarische Bestandsaufnahme der Selbstbehauptung innerhalb eines hegemonialen, patriarchal organisierten Mediensystems, gegen das feministische Stimmen sich immer wieder aufs Neue behaupten müssen. 

Dabei wird die Zeit-Online Kolumne "10 nach 8" paradigmatisch für Möglichkeiten der Repräsentation und Sichtbarmachung feministischer Stimmen, jedoch auch gleichzeitig für ihre Funktionalisierung innerhalb einer neoliberalen Medienlandschaft. Zehn Jahre lang veröffentlichte "10 nach 8" wöchentlich drei Texte mit welchem die Autor*innen der Kolumne aktiv den medialen Diskurs um patriarchale Machtverhältnisse, emanzipatorische Kämpfe und Intersektionalität mitgestalten – bis der Medienkonzern die Kolumne nach fast zehn Jahren einstellte. 

Der Grund dafür waren weder ein fehlendes öffentliches Interesse (die Kolumne gehörte zu den meistgelesenen Artikeln von Zeit-Online) noch die Entscheidung der Kolumnist*innen, sondern der Ausbau der eigenen Redaktions - “Vielfalt” des Medienkonzerns. Nachdem die Zeit also genug Diversität in den eigenen Stimmen und Perspektiven geschaffen hat, wird die feministische Kolumne nicht mehr gebraucht? 

Kraft und Wellershaus haben mit "Politisch, Poetisch, Polemisch" eine Anthologie zusammengestellt, die weit über die bloße Auflistung repräsentativer, feministischer Gedanken dieser Kolumne hinausgeht. Die versammelten Texte verweigern sich einer Kommodifizierung, welche sich in vorgegebene Formate eines “braven” Feminismus packen lässt, den man* selbstreflektiert konsumieren kann. Stattdessen zeichnen sie die Kolumne als einen kritischen Raum, in dem weibliche und nicht-binäre Perspektiven eine Stimme finden und die Ökonomie der Medienlandschaft selbst ins Visier genommen wurde. "10 nach 8" analysierte die sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen, die immer noch die Diskurse über Geschlecht, Körper und Sexualität prägen. Es sind Texte, die die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Persönlichen weiter aufbrechen und die Art und Weise hinterfragen, wie Geschichten über Feminismus erzählt werden.

Dabei finden sich unter den versammelten Autor*innen nicht nur etablierte Namen, sondern auch neue, weniger bekannte Stimmen, die einen frischen Blick auf unterschiedliche soziale Realitäten werfen. Kraft und Wellershaus schaffen mit Politisch, Poetisch, Polemisch eine Vielzahl von unterschiedlichen, feministischen Perspektiven zusammenzubringen, die eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten struktureller Bedingungen der Ungleichheit ermöglichen. 

Gleichzeitig wird die Notwendigkeit betont, feministische Kämpfe intersektionaler zu gestalten und mehr Raum für die Perspektiven mehrfach-marginalisierter Gruppen – etwa queerer und behinderter Menschen – zu schaffen. In einer Zeit, in der Feminismus zunehmend als Marketinginstrument und Konsumobjekt missbraucht wird, schaffen es Kraft und Wellershaus, den Fokus auf ein anderes, radikales Verständnis von Feminismus zu lenken– eines, das nicht nur nach medialer Anerkennung und Repräsentation sucht, sondern grundlegende Veränderungen der sozialen Verhältnisse fordert.

Ein Beispiel für eine kritische Analyse der sozialen Machtstrukturen innerhalb einer monopolisierten Medienlandschaft ist der Beitrag von Nino Haratischwili. Sie schreibt: „Feminismus darf nicht nur ein Gespräch in den westlichen Medien sein. Es muss in den Rändern von Europa und den ehemaligen Kolonien geführt werden.“ Diese Bemerkung scheint jedoch die kolonialen Erbschaften des Feminismus außen vor zu lassen, ohne zu hinterfragen, dass der westliche Feminismus, gerade in seiner institutionalisierten Form, sich oft innerhalb von Verhältnissen etabliert, die die kolonialen und kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse reproduzieren. 

Statt einen (immer noch oft überwiegend weißen) feministischen Diskurs aus dem globalen Westen zu exportieren, braucht es eine radikale Auseinandersetzung mit der eigenen Reproduktion von Machtverhältnissen die dem eurozentristischen und westlichem Feminismus inhärent sind. An diesem Punkt setzen viele der Texte der Anthologie selbstkritisch an, reflektieren die eurozentristische Ausrichtung eigener emanzipatorischer Kämpfe und ermöglichen es damit, Feminismus als globalen, aber auch lokal widersprüchlichen Kampf zu begreifen.

Die stilistische Vielfalt der Anthologie spiegelt die pluralen Ausdrucksformen feministischen Schreibens wider. Zwischen essayistischer Dichte, poetischer Sensibilität und theoretischer Präzision entfaltet sich ein Panorama feministisch-marxistischer Praxen, das keineswegs einfachen Lösungen bietet. Vielmehr fordert es dazu auf, die Widersprüche und Fragmentierungen des Feminismus nicht nur zu erkennen, sondern aktiv in die politische Praxis zu integrieren. Dabei werden die Gedichte, Essays und theoretischen Auseinandersetzungen in ihrer Zusammenstellung zu einem Zeugnis für feministische Emanzipation als widersprüchliche, vielfältige Bewegung, die Gleichzeitigkeiten, Gegenteile und Überlagerungen genauso beinhaltet wie ihre stetige Veränderung. Die Texte der Anthologie zeigen Feminismus nicht als dogmatische Ideologie, sondern als stetige Aktualisierung eines Widerstands gegen die Bedingungen der jeweiligen strukturellen Gegenwart.

Die Einstellung der Kolumne "10 nach 8" ist nicht nur ein Verlust für feministische Diskursräume, sondern ein Moment, der die fortschreitende Kommerzialisierung und Vereinheitlichung öffentlicher Medienlandschaften sichtbar macht. Feminismus nicht als catchy T-Shirt Aufdruck und Clickbait Thema für Profitsteigerung in der Medienbranche zu begreifen, bedeutet, sich für nachhaltige strukturelle Veränderungen und gegen die Kapitalisierung von Erfahrungen und Selbstermächtigung einzusetzen. 

Wenn wir den Kampf für ein radikales und selbstreflexives feministisches Schreiben ernst nehmen, müssen wir uns gegen diese Entwicklungen stellen und Räume für eine nicht-kommodifizierte und radikale Feminismus-Praxis schaffen. Kraft und Wellershaus schenken uns mit dieser Anthologie eine wertvolle Ressource – ein Zeugnis nicht nur der feministischen Gegenwart, sondern auch des notwendigen Widerstands gegen konservative  Kräfte,, wie wir sie heute im Auslöschen von progressiven Perspektiven im Feuilleton, der Zensur linker demokratischer Kritik und nicht zuletzt in menschenrechtswidrigen Deportationen von Studierenden und Aktivist*innen beobachten müssen. 

 

Caroline Kraft, Elisabeth Wellershaus (Hrg.), Politisch, Poetisch, Polemisch. Texte zur feministischen Gegenwart. 256 Seiten € 25,- bei Leykam Verlag

 





  • “10 nach 8”

    war das erste Frauenkollektiv, das eine eigene Kolumne in einem nationalen Medium etablierte – damals unter dem Titel “10 nach 8” im Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zwei Jahre später wurde daraus “10 nach 8”, eine wöchentliche Kolumne auf Zeit Online, die seit zehn Jahren die feministische Debatte prägt. Bei “10 nach 8” schreiben Autorinnen, Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen, aber auch Expertinnen spezieller Fachgebiete; es kommen junge Stimmen genauso wie preisgekrönte Autorinnen zu Wort und solche, die in ihren Ländern nicht mehr publizieren dürfen oder aus deren Ländern gerade kaum berichtet wird. Aktuelle Mitglieder der “10 nach 8” Redaktion sind Marion Detjen, Hella Dietz, Heike-Melba Fendel, Annett Gröschner, Caroline Kraft, Lina Muzur, Catherine Newmark, Annika Reich und Elisabeth Wellershaus.

     

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