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KOMMENTAR: VERSÖHNUNG MADE IN GERMANY

Wie die geplatzte Performance von Ersan Mondtag und Olga Bach die Geburtsfehler der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung offenlegt.

  • Feb 17 2021
  • Piotr Franz
    ist in Polen geboren und Berlin aufgewachsen. Nach seinem Studium in Berlin, Frankfurt (Oder), Ljubljana und Warschau hat er zur Entstehung nationalistischer und faschistischer Netzwerke in Polen promoviert, wofür er u.A. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Deutschen Historischen Institut Warschau, der Deutschen Nationalstiftung und der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina gefördert wurde. Seit 2021 ist er als Referent bei Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V. im Rahmen des bundesweiten Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention für die Themen Rechtsextremismus und Wirtschaft verantwortlich.

Als mich Olga Bach vergangenen September als historischen Berater für ihre gemeinsam mit dem Regisseur Ersan Mondtag konzipierte Performance engagieren wollte, war ich zunächst skeptisch. Als Osteuropa-Historiker und Nationalismusforscher war ich mit der Auftraggeberin der Performance nämlich allzu gut vertraut: die Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung in Berlin. Konzipiert wurde diese 2008 errichtete Bundesstiftung als sichtbares Zeichen gegen das Unrecht von Vertreibung und Zwangsmigration. Im Machtgefüge des Stiftungsrat zeigte sich jedoch bald, dass der Bund der Vertriebenen BdV tonangebend wurde. Nachdem nämlich die damalige BdV-Präsidentin, die heutige AfD-Koryphäe und Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, als Mitglied des mächtigen Stiftungsrats abgelehnt wurde, handelte der BdV eine Verdoppelung seines Einflusses im Stiftungsrat aus – von drei auf sechs Mitglieder.  

Mit Personalien wie Steinbach und einem immensen Einfluss durch den Bund der Vertriebenen im Stiftungsrat kam die Stiftung allerdings mit schweren Geburtsfehlern zur Welt. Allein die Wahl des Stiftungsnamens war heikel: steht es einer deutschen Bundesstiftung überhaupt zu, den Begriff “Versöhnung” für sich zu beanspruchen, wenn die Vertreibung der 14 Millionen Deutschen ohne Holocaust und millionenfachen Mord in Europa überhaupt nicht gedacht werden kann? 

Selbstverständlich muss und darf auch das Leid der deutschen Zivilbevölkerung während und infolge der Flucht- und Vertreibungsbewegungen in den deutschen Ostgebieten ab 1945 historisch aufgearbeitet, gesellschaftlich diskutiert und erinnerungspolitisch gewürdigt werden. Anders aber als es Björn Höcke von der AfD mit seiner herbeigesehnten "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" glauben lassen will, ist eine akademische und künstlerische Auseinandersetzung längst schon Realität. Mehr noch: wenn das Thema tabuisiert wäre, warum können dann die politisch einflussreichen Vertriebenenverbände seit 1945 ununterbrochen Geschichtsrevision, Revanchismus und Relativierung der NS-Gewaltherrschaft betreiben? 

Es gab und gibt ihn nicht, den nationalistisch besungenen „Gesinnungskorridor“ in Deutschland. Im Gegenteil: 1991 stimmte die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach (damals CDU-Abgeordnete) gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze mit dem Argument:

"Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt." 

Konsequenzen? Steinbach machte eine steile Karriere in Kultur und innenpolitischen Gremien des Bundestags und wurde Präsidentin des Bundes der Vertriebenen – jener Bund, der heute maßgeblich den Ton im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung angibt. Ein anderes Beispiel: 2001 hält der damalige Innenminister Otto Schily auf dem Treffen der Landsmannschaft Schlesien eine Rede, in welcher er die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus zum Thema macht. Der Saal reagiert mit lauten Beschimpfungen und Buh-Rufen. Reaktionen? Die Vertriebenenverbände wiesen jede Schuld von sich – man sei Opfer einer Instrumentalisierung durch die NPD-Jugend geworden. Ein jüngeres Beispiel: 2010 haben zwei BdV-Mitglieder des Stiftungsrats öffentlich die These lanciert, in Wahrheit habe Polen 1939 den Zweiten Weltkrieg ausgelöst – der Überfall Deutschlands sei nur eine Reaktion gewesen. Damit wiederholten zwei einflussreiche Mitglieder der „Versöhnungs“- Stiftung eben jenes Argument, mit dem der  Nationalsozialismus seinen Vernichtungsfeldzug in Osteuropa legitimierte. Die Wiederholung von NS Propaganda: Versöhnung made in Germany? All das war in Deutschland Realität, lange bevor sich Geschichtsrevisionismus und Lüge unter dem Motto „Mut zur Wahrheit“ als Partei vereinten.  

Nachdem 2015 schließlich auch noch ein Großteil des nachträglich installierten und renommiert  besetzten Stiftungsbeirats – bestehend aus polnischen, tschechischen und deutschen Historiker*innen – unter Protest die Stiftung verließ, schien die geringe Glaubwürdigkeit des  deutschen Versöhnungsprojekts vollends erodiert zu sein. Die Wissenschaftler*innen wurden als Feigenblätter einer politisch motivierten Stiftung besetzt, die wiederum keinerlei Interesse an einem kritischen und wissenschaftlichen Dialog signalisierte. 

Seither ist es still um die Stiftung geworden. Mit der Einladung der kritischen und jungen Theaterleute Olga Bach und Ersan Mondtag im Pandemie-Herbst 2020 jedoch stand eine Hoffnung im Raum: Hat die Stiftung in den vergangenen Jahren hinzugelernt, distanziert sie sich unter ihrer 2015 installierten Direktorin Bavendamm womöglich von ihren Altlasten – wird sie Dialog wagen und Versöhnung ermöglichen? Mit einer live gestreamten Kunstinstallation rechnete die Stiftung mit Sitz im Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg offenbar mit einem erheblichen Imagegewinn mit Paukenschlag. Zumindest Letzteres ist ihr gelungen.  


Denn schnell zeichnete sich die „Zusammenarbeit“ durch massive Zensurversuche, inhaltliche  Einflussnahmen und finanzielle Erpressungsversuche aus. Das Bestreben der Stiftung eine alternative Erinnerungspolitik zu betreiben äußerte sich im hartnäckigen Eingreifen der Stiftungsleitung in den narrativen Grundsatz der Autorin Olga Bach, die Vertreibung der Deutschen als historischen Ursache-
Wirkungs-Zusammenhang darzustellen. Für die Stiftung aber sollten die Deutschen nicht nur im Mittelpunkt stehen, sondern beherrschendes Thema der ganzen Installation werden. Die seit 1939 vorausgegangene „rassische Flurbereinigung“ – die Vertreibung also von Millionen Nicht-Deutschen aus ihrer Heimat, um Platz für die Germanisierung Mittel- und Osteuropas zu schaffen – wurde systematisch an den Rand gedrängt. Einer dieser Germanisierungssiedler war der Luftwaffen Feldwebel Wilhelm Karl Hermann aus dem hessischen Hanau, Vater einer im besetzten „Germanisierungs“-Gebiet geborenen Tochter: Erika Steinbach.  

Auch die kritische Auseinandersetzung mit der historischen Verantwortung der Deutschen sowie der Bedeutung von Vertriebenenverbänden als Stimmen im Chor von Geschichtsrevisionisten und Rechtsextremen wurde rigoros zensiert. Eine entsprechende Performance-Station mit der  berüchtigten Dresdener Rede vom AfD-Propagandist Björn Höcke wurde ohne Autorisierung der Autorin vonseiten der Stiftung gestrichen – man wolle nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Es wurde gedroht: sollte das Thema der Instrumentalisierung der Stiftung durch Rechtsextreme Teil der Installation bleiben, würde die Stiftung die seit Wochen anlaufende Performance kurzerhand platzen lassen. Zu Recht muss hier attestiert werden: wer Kritik an der eigenen Instrumentalisierung zensiert, offenbart sich als Teil des Problems.  

Von besonderer Tragweite war indes der Umgang der Stiftung mit einem Interview, das ich in meiner Funktion als historischer Berater der Performance mit einem ehemaligen Mitglied des wissenschaftlichen Beraterkreises führte, das jenen 2015 unter Protest verließ: Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Leiter des Willy-Brandt Zentrums in Breslau und seit 2019 Träger des Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland für sein Engagement für die deutsch-polnische Freundschaft. Dass dieses Interview stattfinden würde, war der Stiftung bereits seit einiger Zeit auch schriftlich bekannt, als uns am Abend vor dem Interview der Leiter der Kommunikationsabteilung der Stiftung telefonisch kontaktierte.

Die Stiftung setzte uns aus heiterem Himmel ein Ultimatum: Prof. Ruchniewicz sei für die Stiftung eine Reizfigur – es fiel ein Vergleich mit Erika Steinbach – und damit von der Installation auszuschließen. Ein ungeheuerlicher Vergleich. Der Professor soll die Stiftungsdirektorin angegriffen haben, doch Beweise dafür bleibt Bavendamm schuldig. Erneut drohte die Stiftung: bei Zuwiderhandlung würde das Projekt vonseiten der Stiftung abgesagt. Auch schriftlich wurde uns am selben Abend noch einmal per Mail mitgeteilt,  dass die Beteiligung von Prof. Ruchniewicz „Konfliktlinien auf[mache], die nicht empfehlenswert sind.“ 

Statt also einer unabhängigen, polnischen Wissenschaftsperspektive drängte die Stiftung auf die Besetzung ihres deutschen Haushistorikers. Dieser ist maßgeblich für die Konzeption der bald eröffnenden Ausstellung verantwortlich und hatte zufällig eine aktuelle Publikation zum Thema Flucht parat. Wenig überraschend legte uns die Stiftung nun nahe, dass sich der Text ihres Mitarbeiters  besser eignen würde als das Interview mit dem anerkannten Professor aus Polen. Publicity und Karriereseilschaften statt kritischem Austausch und Versöhnung.  

Es bedurfte schließlich einer Intervention durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters, bis die Stiftungsleitung sich durchringen konnte das Interview mit Prof. Ruchniewicz doch noch zu gewähren. Direktorin Bavendamm indes wurde nicht müde zu betonen, dass ihre eindeutigen Einschüchterungsversuche nur ein Missverständnis waren. Es spricht allerdings eine deutliche Sprache, dass der Leiter der Kommunikationsabteilung der Stiftung infolge dieser Ereignisse seine Kündigung eingereicht hat. 

Zur Realisierung der Installation kam es schließlich nicht mehr. Nachdem Olga Bach und Ersan Mondtag trotz massiver Einflussnahmen durch die Stiftung Kompromisse am Stück vornahmen, zeigte sich Stiftungsdirektorin Bavendamm unentschlossen und intransparent: was Tags zuvor in beiderseitigem Verständnis abgemacht wurde, war tags darauf wieder nichtig. Es wirkte, als hinge die Direktorin zwischen zwei auseinander rutschenden Stühlen, zwischen dem BdV-dominierten Stiftungsrat und dem öffentlichen Auftrag der Stiftung selbst. 

Höhepunkt: während der Dreharbeiten übermittelte Bavendamm schließlich die Forderung eines 10-jährigen Exklusivrechts am Werk der Künstler. Offenkundig sollte dieses kritische Kapitel der Stiftung endgültig in der Schublade verschwinden. Der Regisseur sah sich zum Abbruch der Dreharbeiten gezwungen und befand fortan in einer existenzbedrohenden Hängepartie – bis die Stiftung der Begleichung der angefallenen Kosten für die Installation im Februar endlich nachkam.  

Es ist ein unerhörter Vorgang, dass eine Bundesstiftung Künstler*innen zensierte und während der Corona-Pandemie in Existenznot brachte. Eine Bundesstiftung allerdings, die unverhohlen und erpresserisch eine kritische Auseinandersetzung mit Nationalismus, Geschichtsrevision und Rechtsextremismus unterbindet, während sich die Republik kaum vom rechtsextremen Terror des NSU, von Halle und Hanau und vom Mord an Walter Lübcke erholen kann, in der eine Bundestagspartei systematisch an der Umdeutung von historischen Fakten und Verantwortungen arbeitet und in der eine entschlossene Haltung gegenüber Nationalisten und Rechtsextremisten Bürger*innenpflicht ist, entsagt nicht nur ihrem hehren Stiftungszweck, sondern versagt auf ganzer  Linie als demokratische Institution. Noch immer schweigt sich die Vorsitzende des Stiftungsrats, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zu den Vorfällen aus. Es wäre unterdessen ein fatales Signal, wenn Stiftungsdirektorin Bavendamm zum alleinigen Sündenbock gemacht würde. Sie mag dem Apparat der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung zwar ein Gesicht geben, die Ursachen aber liegen im Wesen der Stiftung selbst.  

 

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    Filmstills (c) Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

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