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ZUGZWANG: PARADOXE ELEMENTE SUBJEKTIVER KOMPOSITION

Die Serie “Alekhine’s Defence” von Sung Tieu.

  • Apr 07 2021
  • María Inés Plaza Lazo & Pauł Sochacki
    are founders, editors and publishers of Arts of the Working Class.

Der Bauer verlässt sein Feld, ohne vorher gewusst zu haben was Abschied heißt. Er kennt das Blau des Himmels, das Grün des Waldes, doch Schwarz und Weiß sind sehr abstrakt und lassen sich schwer in Gefühle fassen. Nebenan sitzt ein Pferd, nervös, und trinkt Cola. Hastig blättert es durch ein Wörterbuch, um Deutung ringend, und versucht an die Disziplin aus der Schulzeit anzuknüpfen. Alle Fächer sind in diesem Test vereint, zum Üben blieb wenig Zeit, und der Backenzahn schmerzt elendig. Verlust ist einkalkuliert, eine Inventur aller Spielfelder wurde zuvor gemacht, und die Spielregeln wurden auf den Leib der Figuren zugeschnitten.

 

Die Künstlerin Sung Tieu nahm für ihre Ausstellung im Haus der Kunst München die Inneneinrichtungen von Einwanderungsbehörden, Einwohnermeldestellen und modernen Strafvollzugsanstalten als Ausgangspunkt. Sitzgruppen aus Edelstahl evozierten innerhalb der faschistischen Architektur des Flügelsaals die Gefängnisausstattung in England. Das Arrangement dieser Einrichtungsbestandteile zerfließt in die von Wartezimmern gesäumten Verwaltungsgebäude Deutschlands, und es ist dieser kalte Kontext, welcher die vorliegenden Dokumenten rahmt: Asylanträge, Wohnsitz-Anmeldungen und Einbürgerungsformulare. 



 

Basierend auf anthropologischen Studien über den Verwaltungsapparat, sind die 31 Seiten an Formularen zwar keinem bestimmen Staat zuzuordnen, betonen aber die zugrundeliegende Logik deutlich, die ähnlich fatal in den Spielregeln auf einem Schachbrett wiedererkennbar sind. Die Züge zum Schachmatt sind von Tieu in zarten Bleistiftstrichen annotiert. Tieu legt die Widersprüche, Ungereimtheiten und die Willkür von Machtspielen offen und demonstriert, wie die Grauzonen von Regeln und Chancen unsere Subjektivität kontrollieren. Sieht man sie als Reihe rhetorischer Situationen, lassen sich die Schachzüge als dramatisierte Lesart dessen interpretieren, was im globalen Kapitalismus durch Privilegien, Identitätspolitik und Verhandlungen der (Kunst-)Welt gespaltet wird: Gesellschaften.

 

 

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This contribution is part of Issue 15: DECOLOMANIA, on art history, the history of politics, and the history of theory: all of them colonized and colonizing, much like our very selves.



  • IMAGE CREDITS
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    Sung Tieu, Alekhine's Defence, (2020) 31 pencil drawings on 31 documents, framed in 31 parts, each: 32.1 x 23.4 cm (12 5/8 x 9 1/4 inches)

    Sung Tieu, Alekhine's Defence, (2020) 31 pencil drawings on 31 documents, framed in 31 parts, each: 32.1 x 23.4 cm (12 5/8 x 9 1/4 inches)

    Sung Tieu Alekhine's Defence, (2020) 31 pencil drawings on 31 documents, framed in 31 parts, each: 32.1 x 23.4 cm (12 5/8 x 9 1/4 inches)

    Sung Tieu Alekhine's Defence, (2020) 31 pencil drawings on 31 documents, framed in 31 parts, each: 32.1 x 23.4 cm (12 5/8 x 9 1/4 inches)


    Sung Tieu is an artist. Forthcoming solo exhibitions include Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig and Kunstmuseum Bonn (both in DE, 2021). Forthcoming group exhibitions are “for refusal” at Transmediale (DE, 2021); “Ars Viva 2021” at Kunstverein Hannover (DE, 2021); INFORMATION (Today) at Kunsthalle Basel (CH, 2021); Taipei Fine Arts Museum (TW, 2021) and “Though It’s Dark, I Still Sing”, curated by Jacopo Crivelli Visconti, 34th Bienal de São Paulo (BR, 2021).

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