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DEFUNDING BERLIN

Das langsame Aushungern der freien Kulturszene Berlins.

  • Essay
  • Dec 19 2023
  • Heiko Pfreundt und Lisa Schorm

    Die Künstler*innen und Kurator*innen Heiko Pfreundt und Lisa Schorm betreiben seit 2011 den Projektraum Kreuzberg Pavillon. Seit 2019 organisieren sie das Project Space Festival Berlin.
    www.kreuzbergpavillon.de | www.projectspacefestival.berlin

Es gibt keinen Anspruch auf Förderung. Diesen kurzen Absatz muss jede*r zum Abschluss einer Antragstellung im Antragssystem des Berliner Senats bestätigen. Dieses Vorgehen ist bei individuellen Antragssteller*innen nachvollziehbar, sonst könnte sich jeder Mensch Förderung einklagen. Doch ergibt sich daraus die Frage, ob es auch keinen allgemeinen Anspruch auf Förderung für die gesamte Berliner Kulturszene gibt? Mit jedem Haushaltsjahr des Berliner Senats können sich die Existenzbedingungen der freien Kulturschaffenden radikal verändern, denn es werden Fördervolumen umverteilt oder gestrichen. Die Entscheidungen sind politischer Natur, jeder neu gewählte Senat prägt mit ihnen das kulturelle Stadtbild und zwar indem er entscheidet, wie der Teil des Kulturbudgets, der noch nicht festgelegt ist, verteilt wird. Davon sind unterschiedliche Kultursparten betroffen. Als Teil der Kulturlandschaft Berlins stellt auch die Projektraum - Szene Ansprüche.

Projekträume sind der erste Anlaufpunkt für bildende Künstler*innen in Berlin. Sie sind neben den kommunalen Galerien die wichtigste Möglichkeit, an Ausstellungen teilzunehmen und sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Dabei teilen Projekträume ihre Produktionsmittel und sind ein Ausgangspunkt für kollaborative Prozesse. Projekte finden hier oft in Gemeinschaft, in einer regenerativen künstlerischen Infrastruktur statt. Sie gelten in Berlin als die vielen Gegenstücke zur Institution“ [1] abseits der großen Museen und teuren Galerien, als experimentelle, unabhängige, nicht-kommerzielle Orte, der bildenden Kunst. Etwas, wodurch sich Berlin als Magnet für die Kunst bezeichnen lässt, oder auch als die Stadt der Projekträume. 

Projekträume sind dabei Präsentations- und Produktionsorte. Oft wird in Projekträumen ausprobiert, was später von Institutionen aufgenommen und weiterverwertet wird. Da diese Räume im Gegensatz zu Galerien unkommerziell arbeiten, geschieht ein Großteil der Kulturarbeit, die dort geleistet wird schlecht oder nicht bezahlt. Daher sind sie auf Kulturförderung angewiesen, um trotz steigender Mieten und Lebenshaltungskosten existieren zu können. 

Für den Erhalt der aktuellen Projektraumvielfalt rechnet das Netzwerk freier Projekträume und Initiativen [2] Berlin konservativ geschätzt mit einem Bedarf von insgesamt etwa 4 Millionen Euro, den die etwa 150 Räume der Stadt 2024 an Strukturförderung pro Jahr haben. Tatsächlich stehen in der Basisförderung für Projekträume und -initiativen 925.000 € pro Jahr zur Verfügung.

2016 wurden vom Netzwerk 2 Mio Euro pro Jahr für eine Strukturförderung für Projekträume gefordert. Zu dieser Zeit betrug der Fördertopf des Projektraumpreises, was später die Basisförderung für freie Projekträume und –initiativen werden würde, ca. 800.000 Euro. 

Sieben Jahre später ist diese Summe also nur um 125.000 Euro gestiegen. Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,7% pro Jahr hätte der Topf jedoch um 151.200 Euro wachsen müssen, nur um den Wert zu halten. Wir erfahren in unserem wichtigsten Förderinstrument also keinen Aufwuchs, sondern eine schleichende Entwertung oder Defunding. Der Bedarf, den Projekträume und freie Kulturarbeiter*innen aus anderen Sparten haben und die Höhe der Mittel, die von der Politik zur Verfügung gestellt werden, driften immer weiter auseinander, anstatt sich kontinuierlich anzunähern.

Dass Berlin die Stadt der freien Szene ist, ist zum einen auf die langjährige Geschichte der künstlerischen Selbstorganisation innerhalb der Stadt zurückzuführen, aber auch auf eine andere wirtschaftliche Lage der Stadt, in der es nach der Wende günstigen Raum für künstlerische Interventionen gab. Bisher spiegelt sich das nur ungenügend in der Kulturförderung. Zwar ist Berlin die Stadt, die freie Projekte und Gruppen am meisten fördert, doch etwa 95% des [Kultur]budgets kommen über 70 dauerhaft institutionell geförderten Kultureinrichtungen zugute. Rund 5% werden für Einzel- und Projektförderungen (inklusive Hauptstadtkulturfonds) aufgewendet [3].“ In diese 5 %, die hauptsächlich die freien Szene (warum nicht ausschließlich?) fördern sollten, sind auch Töpfe eingeschlossen, auf die auch die Institutionen Zugriff haben. 

Warum konnte bisher keine langfristige und nachhaltige Planungssicherheit für Projekträume und die Freie Szene geschaffen werden? Den Senatsverwaltungen für Kultur, die eine beträchtliche Rolle bei der Festlegung von Vergabekriterien haben [4], ging es in ihren Bemühungen bislang eher darum, eine kleine Anzahl repräsentativer Räume gut auszustatten, das Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen ist hingegen an einer möglichst breiten und langfristigen Förderung aller aktiven Räume in der Stadt interessiert. Daraus ergab sich 2012 als Kompromiss das Modell des Projektraumpreises, der zum einen den Anspruch einer Exzellenzvergabe erfüllte, zum anderen mit seiner Dotierung von 30.000 € für einige der sieben Gewinner*innen eine finanzielle Absicherung für die nächsten ein bis zwei Jahre bedeutete. Mittlerweile verfestigt sich der Begriff Exzellenz auch innerhalb der freien Szene, ohne dass darüber diskutiert wird, was er im Kontext der freien Kulturszene bedeutet. Welchen Spagat übt beispielsweise ein Ort der freien Szene, der Klassenkritik für sich beansprucht, und sich gleichzeitig als exzellenten Raum für internationale Kunst und Kultur bezeichnet? 

Die Summe dieses Fördertopfes wuchs im Laufe der Jahre von 210.000 Euro auf 800.000 Euro an. So wurde die Voraussetzung geschaffen, den Projektraumpreis langfristig in ein nachhaltiges Förderinstrument zu überführen.

Unter der rot-roten Regierung Berlins kam die zweijährige Basisförderung für künstlerische Projekträume und -initiativen, die mehr Stabilität und Planbarkeit für die Kulturschaffenden bedeuten sollte. Als sie das erste Mal 2020/21 vergeben wurde, betrug das Gesamtvolumen 800.000 Euro und es konnten fast 50% der eingegangenen Bewerbungen berücksichtigt werden. Bei der darauffolgenden Vergabe für die Jahre 2022/23 hingegen, verringerte sich die Anzahl der Geförderten, von ehemals 33 auf 26 Projekträume. Und dies obwohl die Anzahl der Bewerbungen gestiegen war. 

Ein  Viertel der Räume, die in der ersten Vergaberunde berücksichtigt worden waren, standen plötzlich wieder ohne Unterstützung für die Miete und Kulturarbeit da. 

Die, von der Projektraumszene lang ersehnte Basisförderung zeigte sich also schon in der zweiten Vergaberunde nicht nachhaltig. Anstatt eine Entwicklung für einen Großteil der basisgeförderten Räume, also Aufwüchse, zu ermöglichen und gleichzeitig neue Räume in die Basisförderung aufzunehmen, fand ein fast kompletter Austausch der Zuwendungsempfänger*innen statt. 

Ein Gedanke dahinter ist wohl, den vielen Projekträumen gerecht zu werden, sodass die Förderung nicht stagniert. Denn die Basisförderung reicht nicht, um den errechneten Bedarf zu decken. 

Trotzdem ist sie das bisher einzige bestehende Mittel, mit dem die freien Projekträume eine ähnliche Struktur wie die der freien Theater und Gruppen der darstellenden Kunst aufbauen können. Eine vierjährige Konzeptförderung, die es in dieser Sparte schon mindestens seit 2003 gibt, war ab 2024 für den Bereich der bildenden Kunst geplant. Sie wäre eine langfristige Existenzperspektive für freie Präsentationsorte. Als sich Anfang des Jahres 2023 abzeichnete, dass die neue schwarz-rote Regierung den Plan ihrer Vorgänger*innen nicht weiterführen und die vierjährige Konzeptförderung einsparen würde, kam es im September und Oktober dieses Jahres zu mehreren Protestbriefen und Petitionen [5]. Zum einen von Projekträumen, die diese Mittel bereits für die Entwicklung ihrer Häuser fest eingeplant hatten, sowie durch das Netzwerk freier Projekträume und -initiativen, welches die Einsparung der geplanten 1.000.000 Euro als Kürzungen gegenüber dem gestiegenen Bedarf der gesamten Projektraumszene kritisierte. 

Diese Mittel werden dringend für die Projekträume benötigt. Allerdings wäre es erst dann sinnvoll, eine Konzeptförderung einzuführen, wenn es gleichzeitig einen beträchtlichen Aufwuchs der Fördermittel gibt. Das Problem einer schlecht ausgestatteten Konzeptförderung besteht darin, nur einige wenige fördern zu können, und grundsätzlich wenig entwicklungsorientiert [zu] sein [6]“, wie es bereits 2018 in einem Gutachten über die Konzeptförderung der freien Berliner Theaterszene hieß. Schon damals fanden sich die Gutachter*innen damit konfrontiert, dass die Förderung ohne regelmäßige ausreichende Aufwüchse stagniert, also nur noch neue Räume in diese höchste Form der Förderung aufgenommen werden können, wenn andere aus der Förderung entlassen werden. 

Die Projekträume sind durch den Regierungswechsel in einer Situation, in der die Hälfte der Fördergelder, die sie eigentlich zur Verfügung haben sollten, gestrichen wurden. Wie geht man mit einem Defunding in dieser Größenordnung um?

Ein Ziel der Projekträume muss jetzt darin bestehen, das Gemeinschaftliche untereinander zu stärken. Beim Project Space Festival ging es in diesem Jahr um eine Gemeinschaft von Räumen. Der Vorschlag des kuratorischen Konzept beinhaltete: Nachdem wir lange Jahre zuvor ausgiebig die Unabhängigkeit von Projekträumen betrachtet und versucht haben darzustellen, müssen wir nun über die Gemeinsamkeiten und politischen Ziele nachdenken. Besonders jetzt, wo es auch darum geht auf den rechts-populistischen Ruck in den Landes-, Bundeslandes- und Städteparlamenten zu reagieren. Jetzt umso mehr muss anstelle von gegenseitiger Abgrenzung, der uns durch exzellente Selbstdarstellung nahegelegt wird, der Versuch unternommen werden auf wechselseitige Beziehungen einzugehen und über dringend notwendige Fördergerechtigkeit zu diskutieren. 

Die Künstlerin Katharina Grosse sagte kürzlich dazu: „Berlin ist eine Stadt, die das Offene und das Veränderbare opulent kultivieren könnte und wirklich ganz anders aussehen könnte, weil es neben der etablierten Kunstszene, großartige Initiativen der freien Szene gibt. „Deshalb braucht Berlin eine visionäre Politik, die sich der Magie dieses kulturellen Einflusses bewusst ist [7].“

Wenn es so weitergeht, wird aber genau diese Magie die Stadt verlassen und mit weiteren Entzügen von Finanzierungen nicht nur die freie künstlerische Szene stillgelegt, sondern damit auch der ganze Charme Berlins. Um es mit klassischen soziologischen Begriffen zu formulieren: Der Entzug des finanziellen Kapitals für Projekträume und -initiativen bedeutet den Entzug des kulturellen Kapitals für eine ganze Stadt. Defunding the Project Spaces = Defunding Berlin.

 

Fig.1

 


Extra Box:

Vorschlag für eine gerechtere Verteilung einer Basisförderung:

Die Frage ist nicht allein, wie hoch diese Summe der Basisförderung veranschlagt wird, sondern wie der Gesamtbetrag in Zukunft die Vielzahl der künstlerischen Projekträume erreichen und fördergerecht verteilt werden soll. Dazu der folgende Gedanke.

Es gibt in Wiener Kaffeehäusern ein Wiener Frühstück, eine Art Grundfrühstück bestehend aus Heißgetränk, Brötchen, Butter und Marmelade. Dazu kann, wer Käse und Wurst möchte, eine Erweiterung bestellen. 

Stellen wir uns für einen Augenblick die Basisförderung, wie dieses Angebot vor. Die Basis ist die Raummiete, die bewilligt wird nach einer einfachen Professionalitätsprüfung des Projektraums. Was darüber hinausgeht, ist eine Erweiterung und kann in einem Juryverfahren beantragt werden. Aber auch die Erweiterung ist nicht unbegrenzt, sondern auf Ausstellungshonorare, Betreiber*innenhonorare, Buchhaltung und kleinere Anschaffungen für den Raum/die Initiative begrenzt. Alles weitere wird über Projekttöpfe eingeworben.

Warum der Vorschlag? Es muss eine sichere Grundlage geben, auf die man aufbauen kann. Auch, wenn es mal mit keiner Förderung klappt, was nicht an der Qualität des Antrags liegt, denn, wir erinnern uns, ein Anspruch auf Förderung besteht nicht, darf nicht die Existenz des ganzen Raumes immer wieder in Frage gestellt werden. Auch möchten die meisten keine Projektanträge stellen, die das Fortbestehen des Raumes zum Ziel haben, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihren Themen beinhalten.

Es kann natürlich nicht der komplette Bedarf aus einem Topf kommen. Aber, wenn der entscheidende Topf, die Strukturförderung, künstlich klein gehalten und sehr ungleich verteilt wird, wirken die weiteren Fördertöpfe wie ein Tropfen auf den heißen Stein. 

Natürlich sollten die Mietkosten nicht unbegrenzt hoch sein dürfen und der Raum sollte bereits seit ein paar Jahren existieren. Die Folge, mehr Räume in ihrer Existenz zu sichern, anstatt einige davon mehr zu institutionalisieren, könnte beispielsweise zu einem Modell, einer der Stadt eher entsprechenden „dezentralen“  Kunsthalle führen.

 

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Bilder: 

Project Space Festival Berlin 2016, Bruch & Dallas, Layout, 04.08.2016
Freigefegter Grundriss des ehemaligen Projektraums Bruch & Dallas auf der Freifläche hinter dem Kiosk neben der Neuen Nationalgalerie, auf der zurzeit das Museum der Moderne von Herzog und de Meuron gebaut wird.
Foto: Joanna Kosowska



  • FOOTNOTES

    [1] Berlin Art Week: Die vielen Gegenstücke zur Institution, Marie Dorsch, der Freitag, Ausgb. 36/2023 https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/berlin-art-week-die-vielen-gegenstuecke-zur-institution

    [2] „Das Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen ist ein seit August 2009 existierender loser Zusammenschluss. Nach einer Bestandsaufnahme von Wünschen, Ideen und Bedürfnissen finden seit Anfang 2010 in einem jeweils wechselnden Projektraum Arbeitstreffen zu den verschiedenen erarbeiteten Themenschwerpunkten statt. Ziel des Netzwerks ist, eine langfristige Struktur zu etablieren, um neue Formen von Kooperation und Austausch zu ermöglichen, sich politisch zu artikulieren und für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen einzutreten.“
    https://www.projektraeume-berlin.net/ 

    [3] Berliner Kulturförderung, Stand 2020, ,Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt https://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung/ 

    [4] Die Vergabekriterien von Förderungen werden in Absprache mit den Verbänden der verschiedenen Sparten von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt festgelegt. Diese Mitsprache wird von der Senatsverwaltung gewährt, ohne dass ein rechtlicher Anspruch darauf besteht.

    [5] Netzwerk freier Berliner Projekträume und Initiativen: BRIEF AN DIE MITGLIEDER DES AUSSCHUSSES FÜR KULTUR, ENGAGEMENT UND DEMOKRATIEFÖRDERUNG, 12.09.2023
    https://www.projektraeume-berlin.net/netzwerk/statements/#65ee434d55e911697e39b88e0d001877
    Sinema Transtopia: Offener Brief: SİNEMA TRANSTOPIA ist akut in seiner Existenz bedroht!, 18.09.2023 ZK/U Offener Brief: Zentrum für Kunst und Urbanistik braucht Zukunft, 29.09.2023

    [6] Evaluation bei der Neuvergabe der Konzeptförderung für die Jahre 2015 – 2018, Gutachten vorgelegt von Ute Büsing, Frank Schmid, Dr. Stefanie Wenner https://www.berlin.de/sen/kultur/foerderung/foerderprogramme/darstellende-kuenste-tanz/2020neu_konzeptgutachten_2015_2018.pdf 

    [7] Katharina Grosse: WAS PASSIERT MIT DIR, BERLIN?, Interview mit Janna Aljets, Katharina Grosse, Martin Henn, Marcel Weber;  arte, Oktober 2023
    https://www.arte-magazin.de/zukunft-berlin/

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