Wie wahrscheinlich für jede Videokünstlerin ist es für mich immer eine große Freude, eine neue Künstlerin im Filmbereich kennenzulernen. Margaret Raspés Arbeiten sind flüchtig, sie schockieren nicht, sie laden eher ein, gemeinsam mit ihr ihre Alltagsroutine genauer zu betrachten. Die 1933 in der heute polnischen, damals deutschen Stadt Wroclaw geborene Künstlerin stand lange Zeit im Schatten ihrer extrovertierten Kolleginnen wie Valie Export und Ulrike Rosenbach. Raspés Filme wurden zumeist in den 70er-Jahren gedreht, jener Zeit, in der feministische Kunst sich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit und im Kunstkontext selbst manifestierte. Junge Frauen griffen für das Schaffen ihrer Werke vermehrt zur zeitgenössischen Technik und verbanden deren Erforschung mit der Erforschung des weiblichen Körpers. Doch Raspé drehte zwischen 1971 und 1978 mit einem von ihr entwickelten Kamerahelm mehrere Szenen, in denen sie allein in ihrem Atelier oder zu Hause zu sehen war, während sie eigentlich nichts anderes tat, als zu zeigen, was Frauen in diesen Orten so taten.
Durch die klassische (also die der zweiten Generation entsprechende) feministische Linse betrachtet, zeigen die Arbeiten Margaret Raspés eine Frau, die in ihrem Zuhause wie in einem Käfig eingesperrt ist und daher ein Opfer der patriarchalen (Sozialist*innen würden sagen: patriarchal-kapitalistischen) Struktur der Gesellschaft ist. Die gegenderte Aufgabenteilung – ein Mann, der das Geld verdient und gleichzeitig gesellschaftliche Relevanz gewinnt, und eine Frau, die Hausarbeit verrichtet und sich um die Kinder und ihr Aussehen sorgt – erfährt hier eine allzu klassische theoretische Rahmung. Nach Ihrer Ausbildung an den Kunstakademien in Berlin und Düsseldorf heiratete Raspé, bekam in den Folgejahren drei Kinder und konzentrierte sich auf deren Erziehung.
fig. 1
Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings ein differenzierterer Lebenslauf. Als die Künstlerin ihre Hausarbeits-Filme (darunter Alle Tage Wieder – Let Them Swing!, 1974; Backe, Backe Kuchen, 1973; Der Sadist schlägt das eindeutig Unschuldige, 1971) mit dem Kamerahelm produzierte, war sie längst geschieden. So konnte sie sich der Kunst widmen. Deswegen wage ich die Hypothese, dass ihre Filmarbeiten, die Hausarbeit poetisch festhalten, wahrscheinlich nicht als Kritik an der patriarchalen Lebensorganisation gedacht waren (oder zumindest nicht nur), sondern ein Versuch waren, das Ironische und Poetische in den täglichen, repetitiven Handlungen zu sehen. Diesem Gedanke entsprechen die halb philosophisch, halb ironisch gemeinten Titel der früheren Helmarbeiten: Der Sadist schlagt das eindeutig Unschuldige (1971) über das Schlagen der Schlagsahne; Oh Tod, wie nahrhaft bist Du (1974) über das Töten und das Vorbereiten eines Huhns. Das Poetische – und gar nicht das Kritische – schlägt auch in ihren späteren Arbeiten durch, wo sie ihre Malbewegungen mit ihrem Kamerahelm festhält und die Malerei so primär zu Bewegung, Handlung und Körper wird (Gelb, Rot und Blau entgegen, 1983; Blau auf Weiss, 1979).
fig. 2
Der Kamerahelm, eine eigenständige Entwicklung von Margaret Raspé, die sie in den 70er-Jahren kontinuierlich verbesserte (ihre Vorliebe war es, einen Film ohne Schnitt zu drehen, was erst mit späteren Modellen möglich war), spielt eine große Rolle für ihre Anerkennung als Künstlerin und Experimental-Filmemacherin. Mit dem Erscheinen der handlichen und erschwinglichen Super-8-Kamera begannen Künstler und vor allem Künstlerinnen, die sonst ein Studio und konzentrierte Zeit zum Arbeiten brauchten, im Alltag zu experimentieren. Mit ihrem Helm verwandelte sich Raspé in das erste dokumentierte Mensch-Maschine-Wesen. Das Objektiv der Kamera ersetzte ihr Auge, während die Hände frei blieben. So konnte die Künstlerin nicht nur festhalten, was sie sah, sondern auch, was sie in diesen Momenten tat.
fig. 3
Generell spielt das Ritual oder das Ritualisierende eine große Rolle in Raspés Arbeiten. Ein Ritual signalisiert eine Verwandlung, die oft unsichtbar geschieht, aber in einem bestimmten Moment zelebriert und hervorgehoben wird. Auch die Hausarbeit ist vom Unsichtbaren gekennzeichnet, wird sie doch oft hinter Wänden und in Einsamkeit verrichtet. Sie zu filmen und zu würdigen hat sicherlich eine zelebratorische Funktion: Das Abwaschen wird zum alltäglichen, die Küche und das Haus unsichtbar verändernden Ritual. Diese Faszination des Alltäglichen, allseits Bekannten, zeugt von einem Gefallen an etwas, das man schon auswendig kennt. Dieses Interesse an Prozessen, die in jedem Leben stattfinden, verdeutlicht, dass Margaret Raspé eine großartige Spielfilm-Regisseurin sein könnte. Denn diese Filme tun nichts anderes, als Banalität als etwas Faszinierendes zu zeigen und daraus einen Sog aus Wiederholungen und kleinen Differenzen zu entwickeln. Sie erinnern an Andy Warhols zehn Jahre zuvor gedrehten Film Kiss (1963), in dem sich verschiedene Menschen küssen. Warhol befreit den Kuss von Beziehungen, von Zusammenhängen der Wörter und Handlungen, genau wie Margaret Raspé die häusliche Arbeit von der Zeugnishaftigkeit ihrer Unterdrückung befreit. Sie wird zur Poesie, einem Objekt ihrer künstlerischen Handlungen und Kreativität – und diente der Künstlerin damit sicherlich ein Stück der Selbstbefreiung.
Margaret Raspé, Automatik
1. February – 29.May 2023
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Margaret Raspé mit Kamerahelm, ca. 1974, Foto: Herbert Lachmayer, Courtesy die
Künstlerin.
fig. 1: Margaret Raspés Küche, Rhumeweg 26, Berlin, Foto: Enrico Marletti, Courtesy die
Künstlerin.
fig. 2: Margaret Raspé, Oh Tod, wie nahrhaft bist du, 1972-73, super 8, Farbe, ohne Ton, 15
Min., Standfoto s/w: Elisabeth Niggemeyer, Courtesy die Künstlerin.
fig. 3: Margaret Raspé, Backe, backe Kuchen, 1973, super 8, Farbe, ohne Ton, 20 Min.,
Standfoto s/w: Herbert Lachmayer, Courtesy die Künstlerin.