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AKTE DES LOSLASSENS

Zur Finissage der Ausstellung "Michael Kleine, in der Blumenhalle" am Bonner Kunstverein.

  • Review
  • Feb 23 2024
  • María Inés Plaza Lazo
    is editor-at-large, publisher and founder of Arts of the Working Class.

plein air, 2023, dimensions variable.


Eine gute Erfahrung mit Kunst ist unabhängig von ihrem Medium. Der zwischen Bühnenbild, Performance, Architektur, Musik und Skulptur sich bewegende Künstler Michael Kleine weiss das. Er weiss, dass Kunst ständig etwas projiziert, das über die Intention der Autor*innen hinausgeht. Kunst kann etwas sein, das nicht objektiv rekonstruierbar ist, sondern aus der Lust entsteht, sich etwas anzueignen; etwas zu machen, das als magischer Moment stattfindet, den man mit allen teilen möchte. Die Ausstellung oder auch das Gesamtkunstwerk, a.k.a. die raumübergreifende Installation “In der Blumenhalle” ist eine Ausstellung über diese Instanz, und Michael Kleine öffnete einen Raum dafür und für ein kollektives Aushandeln der Möglichkeit in Abwesenheit von Gegebenheiten.


Sitznischen, 2023, 315 × 118 × 265 cm.

"In der Blumenhalle" ging in diesem Winter über den Ausstellungsraum hinaus und fragte nach den Ursprüngen all ihrer Dimensionen: nämlich zu der intendierten Funktion des Gebäudes, in dem der Kunstverein wohnt. Der Bonner Kunstverein wurde als ein Großmarkt für Blumen konzipiert und gebaut. Durch Eingriffe und Verschiebungen gestaltet Kleine die Halle zur überdimensionierten, begehbaren Skulptur neu, wo Umwege eine Suspension von der Realität erlauben, wie auf einer Theaterbühne. Michael Kleine ist aber kein Dramaturg in dem Sinne, dass er vorher alles genau festlegt, wo was hinkommt. Vielmehr tauchen Dinge im Raum auf. Er schützt die Dinge, indem er sie sein lässt, wie sie sind: eine Treppe, zwei Nischen zum Verweilen oder kleine Fenster, die in einen anderen Raum blicken, ein Dachfenster durch den kalten Wind weht. Ein kalter, heller Raum. Ein Brunnen, aus dem leise Wasser fließt.


Brunnenraum, 2023, ready-made, niches, steel, brass, silicon, motor, 490 × 560 × 600 cm.

 

Ein Beispiel für Dinge die vom Künstler so ausgestellt werden, wie sie sind, wäre "Il Gennaio von Bartolomeo Ammannati 1565"; eine Büste auf dem Dach des Gebäudes, ein gigantisches Ready-made auf einer Stahlpalette, mit Warnleuchte auf dem Kopf, gesichert durch einen Spanngurt. Die goldene Skulptur, die als Prop aus einem Bühnenbild kommt, stellt einen Mann dar, der friert. Abgesehen von dieser Hintergrundinformation, dass diese Skulptur eine Geschichte hat, ist sie amüsant. Für Kleine sind jedenfalls die Kontexte, in denen Dinge ein Eigenleben haben mögen, weniger wichtig. Vielmehr steht im Vordergrund, dass wir sie wahrnehmen, als Dinge, die von ihrer Funktion befreit sind.

"Begegne ich einem Kunstwerk, egal ob zeitgenössisch oder historisch, beobachte ich oft diese sehr spezifische Energie, die dabei entsteht – wie ein Transfer zwischen Künstler*in, Rezipient*in und den Gegebenheiten des Hier und Jetzt – all diese Faktoren spielen zusammen. In dieser Begegnung passiert irgendetwas, es ist wie eine Art Aktivierung…"


Wie ein Brot, das für die Bühne gebastelt wird, und das 20 Vorstellungen überleben soll. Das klingt erstmals kompliziert. In der Theaterwelt gibt es verschiedene Werkstätten, die sich damit beschäftigen. So roh, wie es aussehen kann am Ende, damit es aus unterschiedlichen Entfernungen als Brot erkannt wird, behält dieses künstliche Brot eine Abstraktion vom Brot selbst. Das ist, was Michael Kleine interessiert: Was als reale Produktion und soziale Politik der Kunst funktioniert. 

Brotscheibe, 2023, ready-made, iron nails, 23 × 8 × 13

 

Kleine formuliert in universeller Manier, wie viel Ressourcen wiegen: nicht als Material, sondern als Kraft. An dieser Stelle, vor dem Kunstverein, wird Kunst vielmehr ein Akt, der keinen bestimmten Raum und keine bestimmten Techniken braucht, und eher den ganzen Überschuss an Erklärung, Rechtfertigung oder Form in sich trägt. Kleine baut den Raum, in dem sich Alternativen zum Alltag öffnen, und somit ein Vakuum. Auch er muss es oder will es füllen, mit Anwesenheit, mit Spannung. In diesen Gesten manifestiert sich eine systemische Betrachtung poetischer Instanzen. Spazieren durch die Ausstellung, die den Akt des Erkennens und Differenzierens der Dinge ausstellt, ergibt sich durch seine feierliche und doch diskrete, konzeptuelle Komplexität.

Thermobox, 2023, ready-made, light bulb, wooden trays, stacking dishes, cutlery, napkin, porcelain vase, 42 × 70 × 56 cm.

"In der Blumenhalle" hat was museales, und doch wird die Ausstellung nur vom Tageslicht und Kerzen erhellt, als wäre der Kunstverein ein verlassener Ort, eine romantische Ruine, ein Gespenst von sich selbst. Der Ausstellungsraum genießt sonst eine gewisse Dunkelheit, die andere Reflexionen erlaubt, als jenes grelle Licht von Neonröhren eines White Cubes. Ein paar Strahlern, die drei monumentale Tapisserien aus rohen Leinwand mit den Spuren aus einer Bühnenbildwerkstatt beleuchten, sind die einzige Lichter die an gehen, wenn man*eine Münze in den Münzzähler dafür einwirft. Wie wenn man* in der Kirche eine Kerze für eigene Gebete kauft. Diese Rahmung, gedimmtes Licht – oder auch wahrnehmbare Energie – verweist auf einen akustischen Raum, der sonst die nötige Intimität einbüßen würde. Es sind nicht nur Geräusche, die man sowieso hört; er integriert diese zu ihrer Klanglandschaft, die auch zurückgeht zu einer bestimmten Erinnerung, wie diejenige, die den Baumstamm verkörpert in "Bühne": Eine fragile Konstruktion, in der die Zeit und Abläufe von Vorstellungen eher subtil und selbstbezogen stattfinden, und als filigrane Installation in dem Raum schwebt. 

Baumstamm, 2023, tree trunk, spray paint, 726 × 50 × 50 cm; Leuchter, 2017, aluminium sheet, steel, chain, candles, 50 × 47 × 50 cm.

Es gibt also diese Momente in der Arbeit von Michael Kleine  – Fatima Hellberg nennt sie "Container" –  in denen ein Übergang geschaffen wird, zu einem Zustand von Zusammenhalt. Ein Gehäuse. “Sobald es diesen Container gibt”, sagt die Direktorin des Bonner Kunstverein in einem Gespräch mit dem Künstler, “spielt auch eine Durchlässigkeit nach außen eine wichtige Rolle(…)”. Die Gehäuse, Rahmungen und Übergänge zeigen sich in einer Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten, die selten zu begegnen und zu genießen sind. Es sind Momente, in denen die Konzentration anders ist, zerstreut durch die Elemente im Raum. Sie landen ein, das eigene Gewicht loslassen kann. 

Tapisserie, 2023, ready-mades, wooden supports, padded cushions, ribbons, wax, cotton threads, 625 × 76 × 238 cm, 980 × 76 × 314 cm, 980 × 76 × 300 cm

Es ist nicht zuletzt dem tiefgreifenden Sinn für Kollaboration geschuldet, die Kleines spezifische Vorgehensweise anderen aufmacht, wie für mehrere Performances –wie die von James Richards und Billy Bultheel gestaltet– und Veranstaltungen – wie das Jubiläum des Kunstvereins, gehostet mit der Künstlerin Gina Folly – oder Konzerte, die zusammen mit Asako Iwama und Roman Lemberg erstreckt wurden. Es gibt noch mehr schöne Gespräche, die ich hier erwähnen möchte, verbleibe aber erstmals mit einer Ankündigung der Begegnung mit dem Kunstkritiker und Autor Bruce Hainley, die am Sonntag, dem letzten Tag der Ausstellung, in der Halle stattfinden wird.

 

in der Blumenhalle, Installationsansicht.

 

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Michael Kleine, in der Blumenhalle 
17 September – 25 February 2024 
Bonner Kunstverein



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    Slideshow:
    1
    Il Gennaio by Bartolomeo Ammannati 1565, 2023, ready-made, steel palette, warning light, cardboard, clamping belt, 167 × 94 × 203 cm. 
    2-3
    Installationsansichten.
    4
    Glockenrad, 2023, beehive bells, iron wheel, motor, 83 × 80 × 29
    5
    Oberkörper, 2023, ready-made, velvet, wood, 52 × 28 × 72 cm. 5-6
    Steinblock, 2023, ready-made, sandstone, 76 × 14 × 102


    All works courtesy of Michael Kleine. Photography: Mareike Tocha.

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